Wären sie in der Ruderkammer nicht von dem Schlangenmonster mit weit aufgerissenem Maul überrascht worden, hätten sich Louisons und Carltons Lippen wohl tatsächlich berührt. Ab diesem Moment hätte sich ihre Beziehung grundlegend verändert. Es war das erste Mal seit diesem Vorfall, dass sie alleine in einem Raum waren. Niemand suchte nach ihnen, die Tür war verschlossen – sie waren völlig ungestört.
Louison lutschte an seinem Bonbon. Er war erschöpft und müde, doch ein seltsames Kribbeln der Aufregung überkam ihn. All die Zeit hatten sie Händchen gehalten, sich beim Reiten eng aneinander geschmiegt, sich gegenseitig auf dem Berg gestützt und umarmt... Er war sogar in Carltons Armen aufgewacht. Der junge Herzog konnte kaum glauben, dass ihn jetzt ein flüchtiger Kontakt an den Knien aus der Fassung brachte.
Louison räusperte sich. Vielleicht glaubte der Söldner, der junge Herzog habe Durst, denn Carlton reichte ihm erneut die Flasche. Wenn man es genau betrachtete, war es nicht ein wenig … zu intim, sich eine Flasche Alkohol zu teilen?
Seit wann war er von seiner Beziehung zu Carlton so aufgewühlt? Trotz seiner Unsicherheit hatte der General ihm jedoch eine unschätzbare Lektion erteilt: wie man eine undurchschaubare Miene bewahrte. Diese Fähigkeit war jetzt äußerst nützlich. Louison nahm einen großen Schluck und sagte gelassen: „Wenn der neue König nur von drei großen Lords anerkannt wird, wird er für immer auf einem unvollkommenen Thron sitzen.“
Louison warf dem Söldner einen verstohlenen Blick zu. Carlton schien sich der Situation nicht so bewusst zu sein wie er.
Was ist das? Bin ich der Einzige, der sich deswegen den Kopf zerbricht?
Es wäre peinlich gewesen, wenn sein Begleiter genauso verlegen gewesen wäre wie er, aber Louisons Stolz war verletzt, als er sah, wie unberührt der andere schien. Sicher, der König war jetzt eine beliebte Persönlichkeit, aber auch der junge Herzog hatte eine bewegte Vergangenheit, in der viele Menschen Bestechungsgelder an seine Diener zahlten, um allein mit ihm zu sein.
„Ich nehme an, die Position des ersten Prinzen, deines Herrn und Königs, war immer etwas unsicher“, sagte Louison mit einem Anflug von Gereiztheit in der Stimme.
„Das stimmt. Wenn die königliche Autorität wankt, werden die Adligen des Landes kämpfen. Alles, von oben bis unten, wird ins Chaos gestürzt. Es wird schwierig sein, den Staat ordnungsgemäß zu führen, und das Königreich wird selbst kleinsten Krisen hilflos ausgeliefert sein.“
Angesichts von Carltons Analyse vergaß Louison seine früheren Beschwerden und stieß einen hörbaren Seufzer aus. Die Zukunft, die er erlebt hatte, war tatsächlich genau so verlaufen. Sobald sein Herzogtum zusammengebrochen war, hatte der Süden erbittert gekämpft. Zunächst vereint gegen die gemeinsame Bedrohung der Heuschrecken, später gegeneinander. Verrat und Verleumdung hatten das einst friedliche Land durchzogen, das reich an Getreidefeldern und Obstgärten gewesen war. Alles war ins Chaos geraten.
Wenn man bedachte, wie schlimm die Lage in der relativ entspannten und gemütlichen Südregion war, dann waren die anderen Gebiete, die von territorialen Konflikten und Katastrophen betroffen waren, wie verbrannte Erde – die Leben der Menschen waren einfach nur verwüstet.
Besonders im Norden flohen die Bewohner aus ihren Häusern, ließen zahllose Städte zurück und überließen den Monstern, die von den Bergen herabkamen, das leere Land. Was für ein Albtraum.
In einer solchen Situation konnte keine Kraft die Oberhand gewinnen, denn das politische Spiel endete nie zugunsten einer bestimmten Gruppe. Niemand profitierte vom Unglück, dass das Königreich heimsuchte. Die Lebensqualität sinkt rapide und die Menschen werden arm und krank. Louisons eigenes Leben war kurz gewesen, doch in dieser kurzen Zeit hatte er das höllische Leben anderer beobachtet gehabt. Sollte kein Wunder geschehen, würde die Zukunft wahrscheinlich noch schlimmer werden.
„Wenn man das alles bedenkt, glaubst du, ihr Ziel ist wirklich, die Welt zu zerstören?“
Bei Louisons ernster Frage brach Carlton in Gelächter aus: „Sie sind doch keine drittklassigen Theaterschurken. Wer würde heutzutage mit so einem Klischee auftreten?“
„Mmm…“, Louisons Miene wurde steif. Da er die Zukunft kannte, konnte er diese Theorie nicht einfach als Scherz abtun.
„Wenn du wirklich das Ziel eines Schurken bist, dessen Traum es ist, die Welt zu zerstören, dann ist das eine große Sache. Wegen meines Herzogs bin auch ich das Ziel dieses drittklassigen Schurken … Ich sollte eine gute Belohnung von dir erhalten. Ich bin ein teurer Söldner, weißt du?“, lachte Carlton.
Louison brach ebenfalls in Gelächter aus, angesteckt von der leichten Stimmung seines Begleiters: „Nein, nein. Selbst wenn es mich nicht gäbe, wärst du von ihnen ins Visier genommen worden. Bist du nicht das Schwert des ersten Prinzen? Früher oder später wärst du sowieso ein Ziel geworden. Du solltest mir eher danken, dass ich dir unterwegs zusätzliche Informationen gegeben habe. Deine Augen sind jetzt offen, und du wirst nicht mehr völlig unvorbereitet getroffen. Eigentlich sollte ich die Belohnung bekommen!“
„Was ist das für eine Logik?“
Die beiden neckten sich ausgelassen. Währenddessen verschwanden unangenehme Gefühle und Sorgen. Ein angenehmer Alkoholrausch überkam sie.
Louison lehnte sich auf seinem Arm zurück und lächelte: „Du bist betrunken, oder?“
„Nein“, grinste Carlton und nahm die Flasche aus Louisons Hand, bevor er ihm ein weiteres Bonbon direkt in den Mund schob.
Bin ich ein Kind?, dachte der junge Herzog. Doch während er das Bonbon im Mund rollte, spürte er Carltons Fürsorge, die durch die Süße vermittelt wurde. Der junge Herzog war sich sicher, dass sein Begleiter weiterhin alberne Witze machte, um seine Angst zu lindern.
Immer noch auf seinen Arm gestützt, ließ Louison seinen Blick über den Söldner gleiten.
Ist dieser Mann wirklich der 'Schlächter', vor dem ich solche Angst hatte?
Diese Frage war ihm oft in den Sinn gekommen, während sie zusammen gereist waren. War dies wirklich der Mann, der seine Gefolgsleute brutal getötet, unschuldige Menschen abgeschlachtet und seine goldenen Felder niedergebrannt hatte?
In Louisons wachsamen Augen war Carlton aufbrausend, verlor leicht die Fassung und war objektiv gesehen ein 'schlechter' Mensch, … aber er war nicht böse. Obwohl er seine Gegner etwas harsch behandelte, wusste dieser Mann, wie er Mitgefühl für sie aufbringen und sie trösten konnte. Dieser Mann war klug und hatte eine Vision.
So hitzköpfig und temperamentvoll Carlton auch sein mochte, würde er wirklich ein Massaker begehen, das letztendlich seinen Ruf beschmutzen und einen Makel auf seinem Leben hinterlassen würde? Es war klar, dass er in der vorherigen Zeitlinie ein Massaker verübt hatte, doch Louison begann daran zu zweifeln, dass dies allein die Schuld des Söldners war.
Nun, da er in die Vergangenheit zurückgekehrt war, erkannte Louison überall ungeahnte Intrigen – Pläne, die er zuvor übersehen hatte. Hatte Ruger nicht eine versteckte Absicht hinter dem Fluchtplan bei Nacht? Obwohl Louison zuvor gedacht hatte, es sei allein seine eigene Idee gewesen zu fliehen.
Louison hatte keine Ahnung, aber viele Menschen mussten bei ähnlichen Verschwörungen ihr Leben verloren haben. Die meisten von ihnen wussten wahrscheinlich nicht einmal, dass sie in ein Komplott verwickelt worden – so wie die Menschen der Allos-Karawane, die durch das Gift eines Schlangenmonsters starben, obwohl sie nicht wussten, dass sie gebissen worden waren.
Was wäre, wenn es auch eine Verschwörung gegen Carlton gäbe?
Auch Carlton könnte einer Verschwörung zum Opfer gefallen sein, denn der Söldner war genauso unwissend wie die anderen.
Wie tragisch.
Das war jedoch das Problem der Vergangenheit. Außer Louison erinnerte sich niemand. Es gab keine Möglichkeit herauszufinden, ob der Söldner unschuldig war. Ob das Verbrechen begangen worden war, weil der Söldner zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen war. Der junge Herzog hatte die Möglichkeit erhalten, in die Vergangenheit zurückzukehren und zu büßen, Carlton jedoch nicht.
Der Söldner, der Louison für immer in Erinnerung bleiben würde, würde ein Sünder bleiben.
Als Louison an diese Möglichkeit dachte, tat es ihm so leid, dass er unabsichtlich die Hand ausstreckte. Carltons struppiges Haar glitt durch die weichen Finger des jungen Herzogs. Die Augen des Söldners wurden groß.
„Ah, entschuldige.“ Louison merkte, was er getan hatte, und versuchte, seine Hand schnell zurückzuziehen. Wie unhöflich von ihm, einem erwachsenen Mann so plötzlich über den Kopf zu streicheln. Carlton packte ihn jedoch sofort am Handgelenk. Sein Ausdruck wirkte ruhig, doch in seinen Augen glühte eine intensive Wärme.
Der Söldner fragte: „Warum hast du dich nicht abgewandt?“
Es war nicht nötig, Carltons Worte weiter zu erklären. Kaum hatte er gesprochen, erinnerten sich beide an ihren Moment im Schiffsrumpf. Ein schneller Herzschlag – unmöglich zu sagen, wessen Herz schneller schlug, da sie so eng beieinander waren.
Ihr Atem hatte sich vermischt und seltsamerweise die Wangen des anderen gekitzelt gehabt. Louisons Sturz war ein Unfall gewesen, doch die sich verringernde Distanz – fast zu nah – war es nicht.
Da Carlton so gleichgültig wirkte, war Louison von der Frage ziemlich überrumpelt.
Was soll das? Kann er seine Gefühle besser verbergen als ich?
Nun, wenn man es sich recht überlegte, war es gar nicht so unerwartet, dass der junge Herzog aufgrund seiner eigenen Dummheit die Gefühle des anderen nicht bemerkte. „Einfach so.“
„Einfach so?“ Carlton klang, als würde er seine Wut unterdrücken.
Louison fügte hastig hinzu: „Ich fand es nicht unangenehm. In diesem Moment dachte ich, es wäre in Ordnung, mich von der Situation mitreißen zu lassen.“
Ehrlich gesagt hatte er in diesem Moment kaum einen klaren Gedanken gehabt. In der Vergangenheit hatte er mehr getan, als nur zu küssen und sich einfach treiben zu lassen.
Louisons unbedachte Antwort entfachte ein Feuer in Carltons Innerem. Der Söldner wusste, dass Louison in der Hauptstadt als berühmter Lebemann bekannt war, aber das am eigenen Leib zu erleben, war etwas anderes.
„Also. Einfach so. Weil du es nicht unangenehm fandest. Weil du dich von der Atmosphäre hast mitreißen lassen...“, murmelte Carlton ruhig vor sich hin. Eine Gänsehaut lief über Louisons Arme.
„Dann wirst du deinem Gegenüber in einer solchen Situation einfach nicht aus dem Weg gehen?“
„…Nein, das mache ich nicht mit jedem“, Louison schüttelte verzweifelt den Kopf.
Ah, ich glaube, ich habe etwas Falsches gesagt, aber wie kann ich das ungeschehen machen?
Carlton ließ ihm jedoch keine Zeit, sich zu entspannen und eine Antwort zu formulieren. Er zog am Handgelenk des jungen Herzogs und küsste Louisons Handfläche.
„C-Carlton?“ Erschrocken versuchte Louison seine Hand zurückzuziehen, doch Carlton hielt sie fest. Carlton sah dem jungen Herzog direkt in die Augen und küsste ihn erneut – diesmal das Handgelenk. Er drückte seine weichen Lippen darauf und leckte mit der brennenden Spitze seiner Zunge über die empfindliche Haut. Danach ließ er die Hand los.
Er hörte jedoch nicht auf. Carlton küsste weiter Louisons Unterarm und dann seine Schultern. Es fühlte sich an, als würde die Hitze des Alkohols plötzlich durch Louisons Körper schießen. Ihm wurde schwindlig. Louison stieß ein leises Keuchen aus – ein unwillkürlicher Laut. Carlton biss sanft mit seinen Zähnen Louisons zitternden Hals. Der junge Herzog erschauderte.
Im nächsten Augenblick umfasste der Söldner mit seiner Hand den Nacken des jungen Herzogs. Seine dunklen Augen schienen Louison zu fragen: „Was wirst du jetzt tun?“
Was meint er damit?, dachte Louison. Die Anziehungskraft, die der Söldner ausstrahlte, war so beängstigend und berauschend.
Das ging über das bloße 'Nicht-Hassen' hinaus. Louison begehrte ihn.
„Du bist so schrecklich.“ Louison legte seine Arme um den Hals des Söldners. Es gab keinen Raum mehr, um näher zu kommen. Carltons Lippen umschlossen Louisons.
Der junge Herzog konnte die Vibrationen des Lachens des Söldners durch seine Lippen spüren.
Gefällt ihm das so sehr?
Louison biss sanft auf Carltons Unterlippe, denn er war leicht mürrisch. Auch das stimulierte den Söldner, denn der Kuss wurde tiefer, immer tiefer. Ihre Lippen berührten sich, lösten sich voneinander, berührten sich dann wieder… und wieder… und wieder. Für eine ganze Weile war im Raum nichts anderes zu hören als die feuchten Geräusche ihrer Küsse.
Wurde aber auch mal Zeit XD
AntwortenLöschenGenau, schade nur das Louison so müde war, sonst wäre aus dem Geküsse in der Kabine etwas SEHR intimes geworden. Wenigstens sind sie im selben Bett eingeschlafen, das wäre bestimmt auch ein sehr süßes Bild gewesen.
Löschenja diesmal hat es sich gelohnt auf sowas haben wir ja schon lange gewartet das es endlich mal passiert.
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