Kapitel 74


„Monstergift… An diese Möglichkeit habe ich noch gar nicht gedacht. Was haben die Mitglieder der Allos-Karawane getan, um von so einem Monster gebissen zu werden?“, fragte Carlton.

Louison nickte und stimmte den Spekulationen seines Begleiters zu. Er wusste, dass diese Kreatur erst etwa zwei Jahre später in der Mittelwestregion des Königreichs entdeckt werden würde. Es war überraschend, sie jetzt im Süden zu finden.

„Noch beunruhigender ist, dass die Ruderer ähnliche Symptome zeigen“, fügte Louison hinzu.

Wenn nur die Mitglieder der Karawane zusammengebrochen wären, wäre es nicht so schlimm gewesen. Man könnte davon ausgehen, dass diese Leute gebissen worden waren, bevor sie das Schiff betreten hatten. Bei den Ruderern war es jedoch anders. Sie waren an Bord des Schiffes geblieben, während es in Mittil angedockt war. Das bedeutete, dass das Monster auch auf diesem Schiff war.

„Also gibt es ein Monster auf diesem Schiff“, Carltons Miene verdüsterte sich. Wenn noch mehr Menschen erkrankten, würde das Schiff im Chaos versinken. „Hast du deshalb Morrisons Frage so vage beantwortet?“

Bevor sie in die Kajüte zurückkehrten, hatte Morrison den jungen Herzog gefragt, ob er etwas gefunden habe. Louison ging einfach über seine Antwort hinweg. Carlton hatte Louisons Verhalten etwas seltsam gefunden, aber unerwarteterweise war der Grund herausgekommen, bevor er nachforschen musste.

„Ja. Ich dachte, es wäre besser, wenn die Leute nichts davon wüssten.“

„Das war klug. Wenn die Leute davon erfahren, würden sie uns wahrscheinlich nicht glauben. Mit so vielen Händlern an Bord, wo es um Geld geht, werden sie einen Schuldigen suchen – und womöglich uns die Schuld geben.“

Im schlimmsten Fall könnten sie als Lügner dastehen. Die beiden könnten fälschlicherweise beschuldigt werden, das Gift verbreitet und ein erfundenes Monster als Schuldigen vorgeschoben zu haben.

„Am besten informierst du die anderen, nachdem du das Monster gefangen hast. Allerdings müssen wir das Monster alleine finden.“

„Wenn viele Leute davon erfahren und einen Aufruhr verursachen, versteckt sich das Monster vielleicht. Am besten ist es, wenn wir beide das regeln.“ Carlton war zuversichtlich und deshalb fühlte sich auch der junge Herzog beruhigt.

„Trotzdem bin ich froh, dass es keine ansteckende Krankheit ist. Sobald das Monster gefangen ist, wird sich die Aufregung legen“, erklärte der Söldner.

„Wenn wir es fangen, können wir ein Gegengift herstellen. Wenn die Kranken nur noch durchhalten, können wir sie retten“, bestätigte Louison.

Louison hatte Cullen bereits angewiesen, wie er sich um die erkrankten Karawanenmitglieder kümmern sollte. Mit fiebersenkenden Mitteln und gängigen Gegengiften würde die Sterblichkeitsrate nicht allzu schnell ansteigen.

Wenn sie jedoch das Monster nicht fingen, würden sowieso alle sterben.

Ich frage mich, ob es Glück oder Pech ist, dass das Monster auf diesem Schiff ist.

Jedenfalls war klar, dass die beiden es fangen mussten.

Natürlich war das leichter gesagt als getan. Das Schiff war groß, und Louison und Carlton mussten auf der Suche nach einer Schlange in der Größe eines Unterarms durch die Gänge streifen. Außerdem war die Zeit für die Kranken knapp. Sie mussten sich richtig entscheiden und konzentrieren.

Glücklicherweise waren Louisons Erfahrungen mit dem einarmigen Pilger und die später veröffentlichten Forschungsergebnisse in seinem Gedächtnis haften geblieben. Der einarmige Pilger hatte viel Arbeit in diese Materie gesteckt, so dass Geschichten über die Schlange in seinen Pilgererzählungen vorgekommen waren.

„Das Ding frisst keine Menschen. Es beißt sie nur. Es stört sich an Menschen, die in seinem vermeintlichen Territorium herumlaufen“, sagte Louison.

„Was für ein monsterhaftes Motiv“, entgegnete Carlton.

„Jetzt muss es die Ruderer gebissen haben – es muss denken, das Schiff sei sein Territorium. Die Ruderer sind in einem Raum unter Deck. Die Schlange muss dort sein.“

Die Ruderer waren zuerst zusammengebrochen – nicht die Passagiere auf dem Deck oder in den Kajüten. Es war sehr wahrscheinlich, dass die Schlange dort hauste, wo die Ruderer untergebracht waren.

„Schlangen lieben solche Orte, also macht es Sinn“, antwortete Carlton.

„Das ist richtig.“

Normalerweise war es den Passagieren nicht gestattet, die Ruderkammer zu betreten. Doch jetzt, da das Schiff angehalten hatte und alle Ruderer in ihr Mannschaftsquartier zurückgekehrt waren, wäre es nicht schwer, sich hineinzuschleichen.

„Der Ort wird vollkommen leer sein, also wenn wir dort herumstöbern, wird die wütende Schlange garantiert hervorkommen“, nickte Carlton.

Den eigenen Körper als Köder zu verwenden – das war nicht viel anders als die Art und Weise, wie der einarmige Pilger das Monster gefangen hatte. Obwohl das einfach schien, konnte es nicht jeder. Das Gift der Schlange war tödlich und sie war schnell und geschickt, wenn sie sich im Schatten ihres Territoriums verbarg. Man musste den Moment abwarten, in dem die Schlange ihr Maul weit öffnete, um einem in den Knöchel zu beißen. Der Angreifer brauchte nicht nur Kraft, um diesen Moment nicht zu verpassen, sondern auch die Kühnheit, den Plan durchzuziehen.

„Das schaffe ich schon. Immerhin hat es ein einarmiger Pilger auch geschafft“, sagte Carlton.

„Allerdings ist es gefährlich, also denke bitte sorgfältig darüber nach. Obwohl dem Heiligen ein Arm fehlte, war er um ein Vielfaches stärker als andere.“

„Wirke ich schwächer als diese Person?“

„Ich habe nicht die Ahnung, um so etwas zu beurteilen …“ Louison konnte das nicht einschätzen. Es war schwer zu sagen, wer von den beiden der Stärkere war.

Er wusste nur, dass sowohl Carlton als auch der einarmige Pilger außergewöhnlich waren.

„Ich werde das Monster im Handumdrehen besiegen. Dann, mein Herzog, wirst du zugeben müssen, dass ich der Bessere bin.“ Es schien, als wäre der Stolz des Söldners verletzt. Es war irgendwie süß – dieser Stolz ließ den Söldner jünger erscheinen.

„Was ist los? Warum lachst du?“, fragte er.

Erst als der junge Herzog Carltons Worte hörte, merkte Louison, dass er lachte.

Mein Gott, der Tag ist gekommen, an dem ich Carlton süß finde. Bin ich verrückt?

„Behandelst du mich wie ein Kind?“ Carlton war unglaublich scharfsinnig.

Louison versuchte, sich zu entschuldigen, aber seine Ausreden halfen nicht. Schließlich konnte er nur Carltons Stärke loben, um die Stimmung des Söldners zu beruhigen.

Später, gegen Mitternacht, als der wütende Mob vor Erschöpfung in einen unruhigen Schlaf gefallen war, entschlossen sich Carlton und Louison, die Jagd auf die Schlange zu beginnen.

Die beiden verließen heimlich ihre Kajüte. Sie fanden ohne große Schwierigkeiten den Weg nach unten. Carltons Fähigkeit, sich die Struktur des Schiffes einzuprägen, machte es ihnen ziemlich leicht, den Weg zu finden.

Die Matrosen, die den Gang hätten bewachen sollen, waren nicht zu finden. Das Fehlen der Wachposten verstärkte das unangenehme Gefühl, dass etwas Dringendes passiert sein musste, dass die Besatzung von ihren Posten vertrieben hatte. Die Nacht auf diesem friedlichen Fluss war totenstill. Das Mondlicht glitzerte und zerstreute sich auf der Wasseroberfläche.

Die beiden erreichten die Tür unter Deck, ohne jemandem zu begegnen. Die Tür war verschlossen und musste mit einem Schlüssel geöffnet werden, doch Carlton schaffte es, sie gewaltsam mit einem Eisenspieß aufzubrechen.

Der Söldner ging voran und der junge Herzog folgte ihm auf die Treppe. Es schien, als ob unten nichts als Dunkelheit herrschte. Seit die Ruderer den Ort verlassen hatten, schien es, als ob auch alle Lichter erloschen waren. Je tiefer sie kamen, desto nervöser wurde der junge Herzog.

Das Schwingen des Schiffs in den unteren Bereichen war ganz anders als auf Deck oder in den Kajüten. Jedes Mal, wenn er die Wand berührte, spürte er die Vibrationen des Schiffsrumpfs, die durch den Strom des Wassers verursacht wurden. Ihm wurde plötzlich klar, dass er ohne diese dünnen Wände vom Wasser verschlungen werden würde. Platsch – Platsch – das Geräusch des Wassers drang in den Raum.

Es ist viel zu dunkel hier.

Egal, wie viel besser sein Leben geworden war, Louison hatte nach wie vor eine Abneigung gegen Dunkelheit. Wenn er in der Dunkelheit gefangen war, erinnerte er sich an die langen, schmerzhaften Tage, bevor der einarmige Pilger ihn gerettet hatte. Er konnte inzwischen die Realität von diesen unangenehmen Erinnerungen trennen, doch die Angst fühlte sich noch immer lebendig an. Die Enge des Raums drückte auf seine Brust, so dass er kaum atmen konnte.

Unbewusst griff Louison nach dem Saum von Carltons Gewand, der vor ihm ging. Der Söldner drehte sich um.

Ach, ich will ihm doch nicht so eine erbärmliche Seite zeigen, dachte Louison.

Er hatte sich immer bemüht, seine Angst vor der Dunkelheit zu verbergen, um nicht störend oder lästig zu wirken.

„Langsam… Lass uns langsam hinuntergehen.“ Der junge Herzog ließ den Saum des Söldners los und tat so, als sei alles in Ordnung. Er hatte gelernt, solche Dinge zu verbergen, nachdem er lange Zeit allein umhergewandert war.

Carlton sah den jungen Herzog eine Weile schweigend an, bevor er am Arm des Mannes zog: „Stell dich vor mich.“

„W-Was?“ Louison ließ sich an die Vorderseite des Söldners ziehen. Hinter der schmalen Treppe lag tiefe Dunkelheit. Das Geräusch von plätscherndem Wasser erfüllte seine Ohren. „R-Ritter Carlton. W-Warte.“

Ugh, es fühlte sich an, als wäre da etwas: ein Geist, eine schwarze Klinge, die auf seinen Kopf zuflog. Louison versuchte, seinen Kopf wegzudrehen, aber der Söldner ließ es nicht zu. Carlton umarmte den jungen Herzog von hinten und packte ihn mit der Hand am Kinn. Louison kniff die Augen zusammen.

„Es gibt nichts, wovor du Angst haben musst. Ich frage mich das schon lange … Hast du Angst im Dunkeln?“

„Nein…“

„Versuche, die Augen offen zu halten. Wenn du weiter hinschaust, werden sich deine Augen anpassen.“

„Aber…“

„Du solltest es zumindest versuchen.“ Carlton war entschlossen.

Gedanken wie Machst du das jetzt wirklich? und Bist du mein Vater? kamen dem jungen Herzog in den Sinn.

Dennoch gab die Körperwärme, die von Carltons festem, stützendem Körper auf seinen Rücken überging, dem jungen Herzog ein seltsames Gefühl der Sicherheit. Er konnte das Pochen von Carltons Herz hören. Das dröhnende Rauschen des Flusses wurde von den gleichmäßigen Herzschlägen übertönt, was ihm ein wenig Mut gab.

Soll ich die Augen aufmachen? Nur ein kleines bisschen? Louison öffnete schüchtern die Augen.

Ugh, es fühlt sich wirklich an, als wäre da etwas.

Es war, als stünde eine Person in der Dunkelheit.

„Ist das–ist das eine Person?“, fragte der junge Herzog.

„Da ist nichts. Wenn es jemanden gäbe, hätte ich das bemerkt,“ antwortete Carlton.

„Es muss großartig sein, du zu sein!“, rutschte es aus Louison heraus. Am Ende des Satzes brach seine Stimme.

Carlton fand es lustig: „Jetzt pass auf, wo du hintrittst.“

Der Söldner führte den jungen Herzog weiter die Treppe hinunter. Auf den letzten Stufen gewöhnten sich Louisons Augen allmählich an die Dunkelheit. Schließlich konnte er erkennen, was er fälschlicherweise für einen Menschen gehalten hatte.

„Siehst du? Es ist gar nicht so gruselig, wenn sich deine Augen erstmal daran gewöhnt haben. Je mehr du versuchst, nicht hinzuschauen, desto unheimlicher wird es. Aber, na ja, du musst dich nicht überfordern. Du kannst auch einfach Licht machen.“ Mit diesen Worten entzündete Carlton eine Fackel.

Louison fühlte erneut Ärger in sich aufsteigen: „Ganz ehrlich! Du hättest doch von Anfang an das Licht anmachen können!“

„Betrachte es als eine Erfahrung – eine Lernerfahrung.“

„Ach ja? Wirklich, nicht dein Ernst“ Louison war sprachlos vor Unglauben. Der Söldner lachte, als er sah, wie beleidigt sein Begleiter war.

Unter Bord war es einfach nur schmutzig. Stühle, Ruder, Holzkisten … alles rollte hier herum. Ein leichter Schweißgeruch – und etwas Moderiges – erfüllte den Raum. Sie konnten sehen, wo die Ruderer ihre Ruder auf der Flucht achtlos hingeworfen hatten. Der Ort sah chaotisch aus.

„Nicht gerade viel, hm“, sagte Louison.

Nach kurzer Zeit begann Louison entspannt durch den Raum zu gehen, obwohl die wenigen entzündeten Fackeln die Dunkelheit nicht vollständig verdrängen konnten.





3 Kommentare:

  1. Und wieder eine Analogie zwischen dem einarmigen Pilger und Carlton...

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    1. Da werd ich nu überhaupt gaaaaaaaaaaaaaar nicht drauf näher eingehen... schön weiter rätseln... höhö

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  2. ui wie süß,luis hat gelächelt wegen carl. sowas das wusste ich nicht das luis angst im dunkeln hat aber er macht sich trozdem tapfer mit carl auf den weg um das monster zu fangen. mal sehen ob sie es erwischen.

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