Kapitel 55

 

Das Zimmer das sie im Gasthof bekommen hatten, war klein, mit zwei Betten, aber ordentlich. Sie hatten gesagt, sie wollten sofort baden, also brachten die Angestellten gleich Badewasser und füllten die Wanne im Baderaum. Louison, der erkannte, wie schmutzig er war, als er durch die Straßen von Confosse gegangen war und sich dabei mit anderen verglichen hatte, zog seine Gewänder aus und ging in den Baderaum.

Als er sich in der Wanne gründlich einweichte, entrang sich automatisch ein Seufzer aus seiner Kehle. Endlich fühlte es sich an, als könne er richtig ausruhen. In den Bergen hatte sich Schlaf eher wie Bewusstlosigkeit angefühlt, als wie Ruhe für die Nacht. Während er bis zur Nasenspitze in das Wasser eintauchte, dachte Louison an alles was geschehen war.

Er war von Monstern angegriffen worden. Ruger war als Spion enttarnt worden. Er war mit Carlton ununterbrochen hierher gelaufen und nun gab er sich als Pilger aus.

Er war beeindruckt davon, wie viel passiert war – vom Herzogtum bis nach Confosse. Es war eine unglaublich schwierige und hektische Reise gewesen.

Ohne Carlton hätte ich mehr Probleme gehabt.

Da er vor der Rückkehr Erinnerungen daran hatte, wie er durch das Königreich gewandert war, war er damals anscheinend irgendwie umhergeirrt, bis er die Hauptstadt erreicht hatte. Er hatte jedoch damals mit Sicherheit mehr Zeit gebraucht und auch auf mehr Schwierigkeiten gestoßen. Selbst jetzt würde er auf sich gestellt wahrscheinlich immer noch in den Bergen umherwandern. Das Gefühl, verloren gewesen zu sein, als er in der Höhle aufgewacht war, war noch frisch im Gedächtnis des jungen Herzogs.

Carlton war unglaublich kompetent. Louison erkannte, wie der Mann die Beschränkungen seines Standes überwunden hatte, sich schnell als mächtige rechte Hand des Prinzen herauskristallisiert und im ganzen Königreich Ruhm erlangt hatte. Carlton war jemand, der, wenn er splitternackt in feindliches Gebiet gebracht wurde, mit großem Erfolg, in Seide gehüllt, zurückkehren konnte.

Wenn ich Carlton gut folge, werde ich wenigstens nicht verhungern.

Die Erinnerung daran, wie Carlton tagsüber feilschte, die Preise der Händler halbierte und sogar einen Pfirsich als Zugabe für ihren Einkauf bekam, ließ Louisons Herz höher schlagen.

Leute, die gut feilschen und handeln können, bekommen also mehr Essen!

Er hatte gedacht, der Söldner wäre klug und stark, aber wer hätte mit solch weltlichen Überlebenskenntnissen gerechnet? Was fehlte Carlton überhaupt? Ein ausgeglichenes Temperament?

Um ehrlich zu sein, sein Temperament ist ein Problem. Dieses Temperament hat sogar seinen Lebensunterhalt ruiniert …

Wie erwartet – es gab keine perfekten Menschen auf dieser Welt, erkannte Louison. Das Leben hatte ein gewisses Maß an Gerechtigkeit.

Nach einigem Überlegen verließ Louison schließlich die Wanne, da ihm zu warm geworden war.

Er trocknete sich ab, hatte jedoch vergessen, saubere Gewänder mit in den Baderaum zu nehmen.

Eigentlich möchte ich meine schmutzigen Gewänder nicht mehr tragen …

Obwohl seine alten Gewänder von Handwerkern aus teurem Stoff gefertigt worden waren, waren sie bereits zu Lumpen geworden. Sie rochen und Louisons Haut juckte schon beim bloßen Anblick. Es war unangenehm, diese schmutzigen Sachen zu tragen, nachdem er es endlich geschafft hatte, ein Bad zu nehmen.

Louison öffnete vorsichtig die Tür und blickte in das angrenzende Zimmer. Die neuen Gewänder lagen neben anderen Sachen, die sie gekauft hatten, auf dem Tisch.

Ist Carlton irgendwo hingegangen?

Der Söldner war nicht im Raum.

Was für ein Glück.

Louison eilte ins Zimmer und griff sich seine neuen Gewänder – weite Hosen und eine weite Tunika. Sie waren aus grobem Stoff genäht, billig und nicht mit Louisons herkömmlichen Gewändern zu vergleichen. Die neuen Gewänder waren viel robuster, und er hatte mehr Bewegungsfreiheit darin.

Gerade als Louison seine neuen Untergewänder anzog und seine Beine in die Hose steckte, öffnete sich die Tür und Carlton kam herein. Louison hatte geglaubt, ein Fremder sei aufgetaucht und sich versteckt, war aber erleichtert, als er den Söldner sah.

„Hast du schon gebadet? Wir hätten zusammen baden sollen.“

„…Das Zimmer nebenan war leer, also habe ich den Baderaum dort benutzt.“ Carlton antwortete einen halben Takt zu spät, doch Louison bemerkte davon nichts. Die Aufmerksamkeit des jungen Herzogs galt dem Haar des Söldners – Carltons Haarfarbe hatte sich in ein sattes, dunkles Braun verwandelt. Damit schien der Söldner einen sanfteren Eindruck zu machen.

„Wie hast du das mit deinem Haar gemacht?“, fragte der junge Herzog.

„…ich habe es in Bier eingeweicht.“

„Gut gemacht. Die leichte Farbveränderung lässt dich wie eine völlig andere Person aussehen.“

Die Beschreibungen von Carlton und Louison standen auf dem Steckbrief. Eine andere Haarfarbe würde sie aus dem direkten Verdachtsfeld entfernen – was für eine gute Idee.

Louison dachte auch daran, sich die Haare zu färben, doch sein Gesicht war auffälliger als alles andere. Egal, welche Haarfarbe er wählte, seine Züge wirkten unglaublich aristokratisch. Es wäre besser, sein Gesicht mit einer Kapuze zu bedecken.

Mit einem Nicken zog Louison seine Hose an.

Der Söldner stand regungslos da und starrte den jungen Herzog an. So begriffsstutzig Louison auch war, der junge Herzog konnte den hartnäckigen Blick nicht übersehen.

Louison senkte verlegen den Blick. Wegen seines Aussehens und seines Status wurde er von Männern und Frauen gleichermaßen bewundert. Seiner Erfahrung nach verbargen diejenigen, die ihn mit glühendem Verlangen ansahen, ein schwarzes Herz hinter diesem leidenschaftlichen Blick.

Auf keinen Fall! Er? Für jemanden wie mich…? Da gibt es keine Chance…

Louison zögerte, bevor er seinen Mut zusammennahm und fragte: „Warum… siehst du mich so an…?“

„…ich habe deine Gewänder ausgesucht, indem ich deine Größe grob mit den Augen abgeschätzt habe, aber sie passen gut. Ich hatte Angst, dass sie zu groß sein könnten.“

Ah! Natürlich. Die Gewänder.

Das war es. Sein Begleiter war kein gewöhnlicher Mensch – er war Carlton. Vor nicht allzu langer Zeit war er von der Aggressivität und den Kriegstaktiken dieses Mannes geplagt worden.

Ich habe nie gehört, dass Carlton an einem anderen Mann interessiert wäre.

Louison verwarf seinen kurzen Verdacht schnell.

Wie könnte ein Mann wie Carlton an jemandem wie mir interessiert sein, nur weil ich mich gesäubert und mein Aussehen wiederhergestellt hatte? Ich war zu selbstsicher.

Verlegen zog Louison schnell seine Tunika an. Wie konnte er solch ein verrücktes Missverständnis über eine so anständige Person haben?

Der junge Herzog bemerkte plötzlich, dass Carlton etwas hielt. „Was ist das in deiner Hand?“

„… eine Schere. Ich habe sie mir vom Wirt geliehen. Ich dachte, es wäre gut, damit deine Haare zu schneiden.“

Das spielte keine große Rolle, da Louison sich mit der Kapuze bedecken wollte. Louison hatte jedoch das Gefühl, dass er die Aufrichtigkeit des Söldners akzeptieren musste – immerhin hatte Carlton die Schere bereits in der Hand. Er nickte, zog den Stuhl am Tisch näher heran und setzte sich.

Carlton stand hinter Louison. Er legte das Tuch um Louisons Schultern und nahm die Schere zur Hand. Es war dunkel geworden, also zündete er eine Kerze an. Wegen des schwachen Lichts trat Carlton näher an den jungen Herzog heran.

„Ich werde es dir ordentlich schneiden.“ Carlton strich Louisons Haar mit seinen großen Händen zurück und begann, es von unten nach oben anzugleichen – Stück für Stück. Er wiederholte es immer wieder. Er griff eine Haarsträhne und schnitt sie ab. Carlton war so konzentriert, dass er das Haar des jungen Herzogs schweigend berührte.

Da andere ihm immer die Haare geschnitten hatten, war Louison an solche Situationen gewöhnt.

Aus irgendeinem Grund war er jedoch nervös. War es wegen Carlton? War es, weil Carlton mit einer Schere hinter ihm stand?

Es war ein bisschen schwer zu sagen, wo Carltons Hände ihn berührten. Die Hand, die sein Haar hielt, war leicht und strich unnötig oft über seine goldenen Strähnen. Jedes Mal, wenn Carlton das tat, kitzelte die Kopfhaut des jungen Herzogs. Louison konnte nicht anders, als mit Händen und Füßen zu zappeln.

Louisons Blick wanderte hierhin und dorthin, bevor er schließlich zum Fenster blickte. Carlton, durch die Spiegelung im Glas zu sehen, richtete seinen ernsten, ehrfürchtigen Gesichtsausdruck auf den jungen Herzog.

Louisons Ohren liefen rot an. Carlton strich mit einem Zug über Louisons Schläfenhaare. Dabei streiften seine Fingerspitzen liebevoll Louisons Ohrläppchen.

„Nngh!“ Erschrocken sah der junge Herzog nach hinten. Er begegnete Carltons gleichgültigem Blick. Es schien nicht so, als ob Carlton in seinem eigenen Interesse handelte – vielleicht war er wieder einmal zu empfindlich gewesen. Louison lächelte verlegen und drehte sich um. Carlton widmete sich wieder Louisons Haaren.

Er sollte mir einfach die Haare grob abschneiden. Mich sieht sowieso keiner…

Louison fand es merkwürdig, für eine Kleinigkeit so viel Aufwand zu betreiben.

Er erinnerte sich noch lebhaft an die Zeit, als er zwischen Carltons Beine gekrochen war. Die prickelnde Atmosphäre, die dem jungen Lord die Haare zu Berge stehen ließen. Der heiße Blick des Söldners, der auf ihn herabblickte. Diese Erinnerungen machten es dem jungen Herzog schwerer, still zu sitzen. Louison schluckte trocken und befeuchtete seine Lippen mit der Zunge.

Er versuchte, ausdruckslos und gedankenlos zu wirken, um nicht merkwürdig zu erscheinen.

*Schnipp, Schnipp*

Das Geräusch der schneidenden Schere erfüllte den Raum. Zwischen jedem Schnitt konnte Louison Carltons Atem hören. Draußen vor dem Fenster lachten und plauderten die Leute, aber nichts davon drang an Louisons Ohren. Der Rest der Welt klang so weit weg – wie Echos aus einer anderen Welt. In diesem Raum waren die Geräusche des Söldners – der Atem des Söldners und das Geräusch der Schere – alles.

Verstehe nichts falsch. Es ist Carlton. Carlton.

Louison wünschte, er könnte aufgeschlossen und selbstbewusst sein, aber sobald er anfing, die Berührungen des anderen zu bemerken, konnte seine Aufmerksamkeit nicht anders, als sich auf diese Momente zu konzentrieren. Wärme breitete sich von seinem Ohr aus, und jetzt fühlte sich sein Gesicht an, als würde es brennen. Louison hielt aus Verlegenheit und Schüchternheit den Mund.

Carlton bemerkte deutlich, dass der Nacken des jungen Herzogs immer verkrampfter und seine Ohren rot wurden. Natürlich bemerkte er diese Veränderungen – Carlton hatte seine ganze Aufmerksamkeit auf den jungen Herzog gerichtet.

*Schnipp*

Als die langen, hervorstehenden Strähnen abgeschnitten wurden, wurde Louisons blasser Nacken sichtbar. Der weiße Nacken wirkte erbärmlich dünn und schlank.

Während der Söldner den Anblick des ausgeprägten Nackenknochens bedauerte, wuchs auch der Wunsch, seinen Mund dorthin zu legen.

Carlton senkte den Blick auf den Hals des Herzogs und konnte die zarten Körperlinien erkennen, die durch die weite Tunika sichtbar wurden. Louisons nackter Körper – den er zuvor gesehen hatte, als er das Zimmer betreten hatte – kam ihm in den Sinn.

Louison war zwar nicht so muskulös wie Carlton, doch er verspürte immer noch das Verlangen, die blasse, nach dem Bad gerötete Haut zu berühren – so wie man in einen reifen Pfirsich hineinbeißen möchte.

Er wollte seine Finger in Louisons weiches Haar legen und einfach mit seinen Händen hindurchfahren. Er wollte diese errötenden Ohren zart berühren. Aus irgendeinem Grund wollte er noch einmal die Taille des jungen Herzogs sehen, die von der weiten Tunika bedeckt war.

Bin ich sexuell frustriert?





3 Kommentare:

  1. och gott diese beiden. die fühlen sich gegenseitig angezogen zum jeweils zum anderen aber die merken es nicht. luis meint dieses obwoll er schon fast richtig lag und carl schneidet seine haare weil er es nicht sehen kann das sie nicht passen und auch die gelegenheit hat in zu berühren ohne das es luis merkt. wann merken sie das sie sich ein wenig verliebt haben die beiden.

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    1. Och, da haben sich wahrlich zwei gefunden... ehe die was merken hatten wir viel viel Spaß mit ihnen, denn so viel kann ich schon verraten: Nach und nach wird sich jeder seiner eigenen Gefühle für den anderen bewusst, aber bis sie merken, dass es auf Gegenseitigkeit beruht, haben wir noch wundervolle 100 Kapitel voller dusseligen Herzog und trotteligen Söldner vor uns... denn so eine Reise in die Hauptstadt ist verdammt lang ;-)

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  2. Die Gefühle entwickeln sich immer mehr und mehr. Aber noch sind sie selber am grübeln, was mit ihnen los ist. Carlton fragt sich schon, ob er sexuell frustriert ist XD Im Moment stauen sich ihre Gefühle langsam an, was das Ganze interessant macht. Carlton kommt gerade aber nicht von Louison seinen Haaren los und dieser wird auch immer unruhiger. XD

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