Carlton konnte nicht anders, als Louisons Haare zu berühren. „Das ist so eine Verschwendung.“
„Meine Haare werden wieder wachsen.“
„Das stimmt, aber…“
Es stimmte, dass es keine große Sache war, sich die Haare zu schneiden. Carlton war jedoch nicht damit einverstanden, dass der junge Lord sich die Haare des Geldes wegen schnitt. Das Schneiden und Verkaufen der Haare war für Frauen armer Familien der letzte Ausweg.
„Außerdem gibt es jetzt nichts besseres, um schnell an Geld zu kommen“, sagte Louison.
Die Worte des jungen Herzogs waren richtig. Da sie derzeit kein Geld bei sich hatten, würde es schwierig werden, den Pilgerpass wiederherzustellen. Der Söldner hatte erwogen, Louison auf einem Baum zu verstecken und allein in die Burg einzubrechen, um Geld zu stehlen. Allerdings war es viel besser, Haare zu verkaufen, als zu stehlen. Trotzdem konnte Carlton nicht anders, als zu zögern.
Louison schaute Carlton mit einem niedergeschlagenen Blick an, bevor er beschloss, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. „Gib her.“
Louison nahm den Dolch aus Carltons Hand. Ohne einen Moment zu zögern, packte der junge Herzog sein Haar und schnitt es sauber ab. Der Dolch war unglaublich scharf, denn Carlton hatte ihn heute Morgen am Schleifstein geschärft. Bevor der Söldner ihn aufhalten konnte, hatte Louison sich das Haar abgeschnitten.
„So, das reicht doch, oder?“ Louison reichte Carlton das Haarbündel.
Der Söldner blickte auf die Strähnen in seiner Hand. Sie waren wunderschön – wie ein Scheffel Goldfaden –, doch Carlton war hin- und hergerissen.
Der Söldner riss seinen Blick von dem goldenen Haar los und sah Louison an. Da der junge Herzog sie sich direkt unter den Ohren abgeschnitten hatte, begannen sich seine Haare in alle Richtungen auszubreiten. Es war, als hätte eine Maus begonnen, an seinen Enden zu knabbern. Carlton konnte überhaupt nicht lachen – stattdessen wurde ihm schwer ums Herz, als er sah, wie kahl der Hals des Herzogs aussah.
In der Vergangenheit hatte einer von Carltons Männern einmal betrunken erzählt, dass er Söldner geworden war, weil seine Frau ihr Haar für Geld verkauft hatte. Er hatte diese harte Arbeit gewählt, weil er sich selbst gehasst hatte – er verachtete sich dafür, so unfähig gewesen zu sein, dass seine Frau gezwungen war, ihr Haar zu verkaufen. Carlton hatte das damals nicht verstanden. Es war doch nur Haar gewesen. Es würde wieder nachwachsen – wie unbedeutend.
Louison war nicht Carltons Frau, aber jetzt verstand der Söldner die Gefühle seiner Männer.
Er hatte sich noch nie so machtlos und unfähig gefühlt. Carlton war jemand, der stolz auf seine Fähigkeiten war – das definierte seine Identität.
„…Nur dieses eine Mal. Das wird nicht noch einmal passieren. Egal, was geschieht, ich werde dafür sorgen, dass wir nicht mehr ohne Geld dastehen“, schwor Carlton. Ob durch die Jagd oder durch harte Arbeit, dies würde nicht noch einmal passieren.
„Na denn… Mach, wie du willst!“, sagte Louison.
Hasst es Ritter Carlton wirklich so sehr, mir verpflichtet zu sein?
Während Louison über Carltons seltsame Obsessionen nachdachte, zog er sich erneut die Kapuze über den Kopf.
Die beiden kehrten in die Stadt zurück. Da Confosse eine Stadt ist, die oft von Reisenden besucht wird, herrschte in den Hintergassen ebenfalls reges Treiben. Es war der perfekte Ort, um heimlich gestohlene Waren zu verkaufen und zu waschen.
Es war nicht schwer, Haare zu verkaufen. Obwohl Haare oft günstig verkauft wurden, war Louisons Haare lang und gepflegt – glatt, straff und natürlich blond. Diese spezielle Haarfarbe war ziemlich selten, was die Strähnen wertvoller machte als den Marktpreis. Außerdem gewann Carlton ein paar weitere Münzen durch Verhandlungen und Einschüchterungen.
Bei diesem Anblick kochte Louison innerlich.
Oh Mann, als ich meine Haare damals verkauft hatte, habe ich dafür weniger als die Hälfte bekommen.
Egal, wie geschickt Carlton im Verhandeln war, der Preisunterschied war einfach zu groß! Damals hatte Louison zwar gewusst, dass Perücken aus menschlichem Haar hergestellt wurden, aber er hatte kein Gefühl für Geld oder den Wert seiner Haare gehabt. Damals war er einfach froh gewesen, überhaupt Geld für so etwas bekommen zu haben.
Carlton wusste auch nicht, zu welchem Preis Haare normalerweise verkauft wurden. Stattdessen wusste Carlton, wie man verhandelt, indem er die Reaktion seines Gegenübers beobachtete.
Das hätte ich auch tun sollen. Was für eine Verschwendung…, dachte Louison.
Das lag alles in der Vergangenheit, aber Louison fühlte sich trotzdem, als hätte er etwas verschwendet. Als er sich daran erinnerte, wie er freudig zugestimmt hatte, nachdem ihm eine kleine Summe Geld angeboten worden war, verspürte Louison den Drang, in die Luft zu schlagen. Stattdessen ballte er seine Fäuste.
Carlton bemerkte Louisons Körpersprache – der Söldner nahm an, dass kein Adliger, egal wie entspannt er wirkte, als er anbot, sein Haar zu verkaufen, gerne auf die Taktik einer verarmten Ehefrau zurückgreifen würde. Obwohl der andere vielleicht so tat, als sei dies eine triviale Angelegenheit, war er sicher leicht gekränkt.
Carlton hatte Mitleid mit Louison, klopfte ihm auf die Schulter und sprach tröstende Worte: „Da wir jetzt Geld haben, lass uns zu Abend ein lang ersehntes gutes Essen genießen.“
Als Carlton ihn tröstete, lächelte Louison und nickte.
Eine von Louisons Stärken war seine Fähigkeit, ohne große Reue weiterzumachen.
Die beiden setzten ihren Weg fort, ohne das kleine Missverständnis, das zwischen ihnen aufgetreten war, zu bemerken.
Mit ihrem Geld suchten Louison und Carlton nach einem Schmied. In einer Gasse fanden sie einen alten Schmied, der hauptsächlich mit gestohlener Ware handelte. Er war der perfekte Kandidat, um Geheimnisse zu bewahren, da er weder lesen noch schreiben konnte und stumm war. Der Schmied arbeitete am Pilgerpass, ohne Fragen zu stellen.
Als das Kupfer von der Oberfläche abgeschält wurde, kam das ursprüngliche Aussehen des Pilgerpasses zum Vorschein. In die silberne Plakette war das Symbol der Kirche eingraviert – das Zeichen für 'Licht'. Der leuchtende und eisige Farbton breitete sich in Form von Strahlen in alle Richtungen aus. Selbst diejenigen, die die wahre Bedeutung des Symbols nicht kannten, würden an seiner Feinheit erkennen, dass dies kein gewöhnlicher Gegenstand war.
Nachdem sie die Gasse verlassen hatten, fädelte Louison eine Lederschnur durch den Pass und hängte ihn sich um den Hals.
Nachdem Louisons falsche Identität nun gesichert war, war Carlton als nächster an der Reihe. Sie gingen zur Söldnergilde, wo sie um eine Söldnerplakette im Namen eines Mitglieds von Carltons Kompanie baten. Der Söldner sagte, dass er seine Plakette auf dem Weg hierher bei einem Überfall verloren hatte.
Zunächst betrachteten die Gildenmitarbeiter Carlton und Louison mit offenem Misstrauen und weigerten sich, ihnen die Plakette auszustellen. Schließlich, wie hätten sie das schwer bewachte Tor ohne ordnungsgemäßen Ausweis oder eine Söldnerplakette passieren können? Außerdem sah Carlton viel mehr wie ein Räuber als wie ein Söldner aus. Es war vernünftiger für die Mitarbeiter zu glauben, dass Carlton der Räuber und nicht der Beraubte sein könnte.
Als Louison einem Gildenmitarbeiter jedoch heimlich seinen Pilgerpass zeigte, waren alle Zweifel ausgeräumt. Der Mitarbeiter fertigte gerne eine neue Plakette an. „Warum hast du nicht früher gesagt, dass du als Begleiter eines ehrenvollen Pilgers angeheuert wurdest?“
Diese Pässe wurden von der Kirche ausgestellt und verwaltet. Sie waren eine Garantie für den Status und die Hingabe einer Person. Daher waren diejenigen mit Pilgerpässen von der Kirche geschützt und offiziell anerkannt. Es war kein weiterer Identitätsnachweis erforderlich. Nach dieser Logik stand auch ein von einem solchen Pilger angeheuerter Söldner indirekt unter dem Schutz und in der Anstellung der Kirche, sodass auch für ihn kein weiterer Nachweis erforderlich war.
„Das funktioniert wirklich!“, war Louison überrascht. Er hatte auf seinen Reisen mit dem einarmigen Heiligen festgestellt, dass der Pilgerpass sehr nützlich war, aber er wusste nicht, wie groß seine Wirkung wirklich war.
„Das habe ich doch gesagt. Damit kannst du, egal wie du aussiehst, überall Kontrollen vermeiden.“
„Trotzdem dachte ich, sie würden fragen, woher wir kommen und was wir hier vorhaben.“
„Die meisten einfachen Leute haben Angst, dass ihr Glaube in Frage gestellt wird. Sie könnten die Kirche verärgern, indem sie Pilger sinnlos über dies und jenes befragen.“
Louison nickte. Das stimmte. Dieses Königreich glaubte an einen Gott, und die Meinung der Kirche spiegelte sich in allen großen Ereignissen des Königreichs wider. Die Geistlichkeit fehlte nie bei offiziellen Zeremonien, und diese Angelegenheiten folgten oft religiösen Ritualen, die von der Kirche festgelegt wurden.
Infolgedessen war der Einfluss der Kirche im täglichen Leben der Menschen recht stark. Priester waren oft lokale Führer in ländlichen Dörfern, wo der Einfluss des Herrn auf die Regierung schwach war.
Louison hatte zuvor ein dekadentes Leben als anerkannter Edelmann geführt – all seine Freunde waren so. Sie waren nie besonders religiös gewesen. In seiner Vorstellung stellte er sich die Kirche als einen Ort vor, wo freundliche Priester Essen als Almosen verteilten.
Nachdem Louison die Macht des Pilgerpasses erkannt hatte, sah er Carlton mit anderen Augen an.
„Mit so einem machtvollem Gegenstand hättest du furchtlos durch die Welt reisen können! Jeder hätte dir geglaubt.“
„Ich mag wie ein sehr temperamentvoller Mann wirken, aber ich bin nicht gedankenlos“, sagte Carlton arrogant.
Louison war sprachlos.
Wenn du dir deines eigenen Temperaments bewusst bist, solltest du dann nicht versuchen, es zu zügeln …?
Während er das dachte, spielte Louison mit seinem Pass. Hatte Carlton diesen in der vorherigen Zeitlinie wirklich benutzt? Jetzt konnte er das allerdings nicht mehr mit Sicherheit herausfinden.
Die beiden verließen die dunkle Gasse und gingen selbstbewusst durch die hellen, sonnigen Straßen. Da sie in den Bergen umhergeirrt waren, sahen sie schmutzig und schäbig aus.
Die Kombination aus Carltons unnahbarer Ausstrahlung und Louisons eng verhülltem Körper hätte ziemlich verdächtig wirken müssen. Und doch zweifelte niemand an ihnen.
Als die beiden einkaufen gingen, zögerten die Händler zunächst, etwas zu verkaufen, änderten aber ihr Verhalten, als sie den Pilgerpass sahen. Einige waren nicht ganz freundlich, aber im Großen und Ganzen behandelten die Händler die beiden gut, anstatt sie zu ignorieren oder zu verjagen. Sogar die wachsamen Wachen, die die Reisenden befragten, lächelten den Pass an und gingen weiter.
Dank des Passes konnten Louison und Carlton sicher alles Notwendige einkaufen und ein Zimmer in einem sauberen und anständigen Gasthaus bekommen.
Und ein weiteres Missverständnis XD Zumindest haben sie durch die Haare etwas Geld und auch sonst lief alles gut. Und genau diesen Frieden traue ich gerade nicht O.o
AntwortenLöschenZumindest ihre Tarnung ist nun komplett und können sich was kaufen und in einem Gasthaus unterkommen. Carlton kann dann den Verlust über Louison sein Haar verarbeiten XD
bis jetzt läuft alles glatt aber manchmal kommt danach der fall. ich hoffe doch das nichts passiert. aber das verhalten wo er nicht das haar schneiden konnte und luis es sich selbst tat ist ja irgendwie süß von carl. er ist der ein wenig traurig ist weil es geschnitten wurde. jetzt können sie sich zumindest mal ausruhen.
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