Kapitel 53


Es war sehr wahrscheinlich, dass Ruger ins Herzogtum zurückgekehrt war, sich wie ein treuer Diener verhalten und falsche Informationen verbreitet hatte. Wenn dies nicht der Fall war, warum wurde Carlton dann beschuldigt, Louison entführt zu haben?

„… Ich entschuldige mich. Du bist gekommen, um mir zu helfen, und wurdest mit Anschuldigungen belohnt. Auch deine Männer haben unnötig gelitten.“ Louison fühlte sich schwer vor Schuldgefühlen – wenn er einfach zum Schloss zurückgekehrt wäre, ohne darauf zu bestehen, in die Hauptstadt weiterzureisen, würde Carlton zumindest nicht für seine Entführung verantwortlich gemacht werden.

Nein, das ist eigentlich besser so. Angesichts dieser Situation bin ich mir sicher, dass die Rückkehr ins Herzogtum dasselbe wäre wie in seine Falle zu laufen.“

Trotzdem…“

Es ist besser, beschuldigt zu werden, meinen Herzog entführt zu haben, als dass du tatsächlich entführt wurdest. Zumindest ist deine Sicherheit gewährleistet“, Carlton räusperte sich ein wenig verlegen, „Meine Männer… sie sind nicht schwach. Wenn mein Herzog sicher und gesund in der Hauptstadt ankommt, werden sich die Anschuldigungen gegen sie von selbst auflösen.“

Das stimmt. Ich werde nie vergessen, was du und deine Männer alles erlitten habt. Wenn wir die Hauptstadt erreichen, werde ich dafür sorgen, dass du für diese Mühen mehrfach entschädigt wirst“, erklärte Louison entschieden.

Carlton lachte, als er den jungen Herzog ansah, der entschlossen die Faust ballte. Schwierigkeiten verändern Menschen – derjenige, der sie durchgemacht hat, ist danach nicht mehr derselbe. Das galt besonders für den Adel. Carlton glaubte nicht an die Versprechen der Adeligen, aber er war überzeugt, dass Louison sein heutiges Versprechen sicher halten würde.

Vielleicht sollte dieses Gespräch jedoch verschoben werden, bis wir die Hauptstadt erreichen.“

Ach, das stimmt…“, Louison seufzte leise, „Deine Männer sind alle zerstreut… Du bist zum Entführer geworden… Ruger sucht mit aller Kraft nach mir… Er besitzt sogar eine unerklärliche Macht und hat die Unterstützung unbekannter Verbündeter…“

Die beiden befanden sich in einer miserablen Lage.

Die Rettungsmannschaft war als Kriminelle abgeführt worden. Carlton wurde gesucht. Diese einfachen Anschuldigungen ließen sich wahrscheinlich widerlegen, wenn Louison sich zu Wort meldete und erklärte, er sei nicht entführt worden, aber Ruger würde ihnen diese Gelegenheit wahrscheinlich nicht geben. Vielleicht würde er einen weiteren Monsterangriff inszenieren.

Beladen mit diesen kriminellen Anschuldigungen war es für die beiden nicht leicht, in die Hauptstadt zu gelangen. Alles, was Louison und Carlton besaßen, waren ihre Körper und ein Esel.

Das würde vielleicht ausreichen, um für ein paar Tage über die Berge zu gelangen, aber der Weg zur Hauptstadt war lang und schwierig. Wenn sie der Hauptstraße folgen wollten, mussten sie den Fluss mit einem Schiff überqueren und durch verschiedene Lehen reisen. Natürlich benötigten die beiden Dokumente, um ihre Identität auf der Reise zu beweisen.

Die beiden mussten jedoch ihre wahre Identität verbergen, um Rugers Aufmerksamkeit zu vermeiden und um Carltons Festnahme als Entführer zu entgehen.

Wir müssen unsere Identität verstecken… Wenn wir unsere Gesichter verbergen, werden andere denken, dass wir dubiose Gestalten sind… Wir haben auch kein Geld …“

Wie war Louison in der vorherigen Zeitlinie allein in den Norden gereist? Er war einfach wie ein Verrückter gerannt – als ob er verfolgt würde. Jetzt, wo er darüber nachdachte, kam ihm etwas verdächtig vor.

Wenn ich darüber nachdenke, ist das seltsam. Wie konnte ich alleine so weit kommen – wenn ich weder Energie noch Kraft hatte?

Damals litt Louison unter der Wahnvorstellung, dass ihn jemand verfolgte, aber wenn er jetzt objektiv darüber nachdachte, suchte niemand wirklich nach ihm. Egal, wie sein Anwesen und sein Herzogtum ruiniert waren – selbst wenn alle seine Vasallen gestorben wären… Egal, wie sehr Louison verspottet wurde… Auch wenn er eine Schande für den Adel war, hätte ihn wahrscheinlich jemand gesucht, sei es wegen seines vermeintlichen Reichtums oder seines Status als großer Lord.

Erinnere ich mich einfach falsch? War ich zu gehetzt, um zu beobachten, was um mich herum geschehen ist? Oder hatte das etwas mit Rugers Bande zu tun?

Louison fasste sich unabsichtlich an den Kopf. Es war sehr verstörend und deprimierend, an seinen eigenen Erfahrungen zu zweifeln.

Gerade als Louison erneut in diesen Gedankensog zu fallen drohte, sprach Carlton und unterbrach den Gedankengang des jungen Herzogs: „Wir sollten uns verkleiden.“

Was für eine Verkleidung?“

Wenn du dich als Pilger ausgibst, wirst du nicht verdächtigt, selbst wenn du dein Gesicht verhüllst.“

Natürlich – alle Pilger verhüllen ihr Gesicht und verbergen ihre Namen.“

Pilger ließen sich nicht an einem Ort nieder und wanderten im ganzen Königreich umher, um die Lehren Gottes eingehend zu studieren. In dieser Zeit war es einer der wenigen Berufe, bei dem Menschen ohne festes Ziel von Ort zu Ort wandern konnten. Da es üblich war, dass sie ihre Gesichter und Namen versteckten, war es, wie Carlton sagte, eine perfekte Verkleidung für jene, die ihre wahre Identität verbergen wollten.

Doch man konnte nicht einfach Pilger werden, indem man einen Umhang trug und sich als solcher ausgab. Ein Pilger benötigte einige wichtige Dinge: eine Bibel, ein heiliges Objekt und einen Pass, der von der Kirche ausgestellt worden war. Besonders der Pass war das, was den Status eines Pilgers garantierte. Man wurde als Pilger anerkannt, wenn man einen Pass hatte, selbst wenn die anderen Gegenstände fehlten.

Wir haben keinen Pass. Das ist etwas, das man nicht fälschen kann. Die Kirche graviert ihr Siegel darauf“, sagte Louison.

Das ist schon in Ordnung.“ Carlton band plötzlich seine Hose auf.

Was machst du da?!“, rief Louison und schloss fest die Augen – der junge Herzog hatte sogar die Augen des Esels bedeckt.

Carlton kicherte und lachte schelmisch: „Es ist nichts, was mein Herzog nicht schon einmal gesehen hat. Warum machst du so ein Theater? Tatsächlich wolltest du mehr tun, als 'es' nur sehen.“

Er bezog sich auf die Zeit, als Louison vor dem Söldner niedergekniet und versucht hatte, seine Hose auszuziehen. Louisons Ohren glühten knallrot. „Damals … habe ich nur versucht, die Schnüre zu lösen. Streng genommen habe ich dir die Hose nicht ausgezogen.“

Ja, ja. Und auch dieses Mal werde ich sie nicht ausziehen. Ich löse nur die Schnüre.“

Louison spähte durch seine halb geschlossene Augen. Carlton zog seine Hose wirklich nicht aus. Der Söldner griff hinein und riss einen Beutel ab, der in den Hosenstoff eingenäht war. Dann band er die Schnüre wieder zu. In diesem Beutel befand sich ein rundes Stück Kupfer.

Was versteckst du in deiner Hose?“

Das ist ein Pilgerpass.“

Was? Das?“ Louison runzelte die Stirn, als er das Metallstück betrachtete – es sah überhaupt nicht aus wie ein Pass. „Ich habe einmal einen Pilgerpass gesehen. Er war viel feiner und schöner als dieser hier. Außerdem war er aus Silber. Wir können mit so einer klobigen Fälschung niemanden täuschen.“

Der ist wirklich echt. Ich habe die Oberfläche mit Kupfer überzogen, um Räuber abzuschrecken. Wenn wir das zu einem Schmied bringen, wird er wissen, was zu tun ist.“

Dann ist es wirklich ein Pilgerpass? Warum hast du den?“

Ich habe ihn bei der Leiche eines toten Pilgers gefunden. Ich habe ihn aufgehoben für den Fall, dass Unfälle passieren und ich schnell fliehen muss – ich habe ihn wie einen Lebensretter aufbewahrt.“ Carlton sagte weiter, dass dies unglaublich *unglaublich* wertvoll sei.

Louison war erstaunt über die Sorgfalt des Söldners. Das Gerücht, – eine weitverbreitete Verschwörungstheorie vor der Rückkehr des jungen Herzogs –, dass Carlton nicht hingerichtet, sondern geflohen sei, erschien plötzlich sehr plausibel.

Aber wir haben doch nur einen Pass, oder?“

Ich plane, mich als Söldner auszugeben. Pilger aus wohlhabenden Familien heuern oft Söldner als Führer an.“

Hm, das stimmt. Als Söldner und Pilger mögen wir auffallen, aber zumindest werden wir nicht für zu verdächtig gehalten. Und für Pilger geben religiöse Leute gelegentlich Essen, einen Schlafplatz und manchmal sogar Geld… Wir müssen uns keine Sorgen um Reisekosten machen.“

Glaubst du, du könntest so tun, als wärst du ein Pilger?“

Das ist ganz einfach.“ Während Louison dem einarmigen Pilger gefolgt war, hatte er seine Bewegungen und sein Verhalten genau beobachtet.

Er wusste genau, wie sich Pilger verhielten, wenn sie über den Glauben sprachen und mit Gläubigen zu tun hatten. Es würde ihm nicht schwerfallen, ihn nachzuahmen.

Carltons Plan war durchaus umsetzbar und Louison stimmte sofort zu.

Lass uns nach Confosse zurückkehren. Nachdem wir bei der Söldnergilde und der Schmiede vorbeigeschaut haben, werden wir endlich unsere Identitäten haben. Lass uns zum ersten Mal seit langem wieder unter einem anständigen Dach schlafen“, sagte Carlton.

Ach, warte. Aber wir brauchen sofort Geld.“ Da der Söldner seinen versteckten Lebensretter hervorgeholt hatte, konnte Louison nicht still sitzen. Er nahm seine Kapuze ab und strich sich die Haare zur Seite.

Schneide es ab.“

Dein Haar?“

Ja. Langes, goldenes Haar bringt viel Geld ein. Ich habe meins aus diesem Grund nicht geschnitten – nur für den Fall.“

Vor seiner Rückkehr, als Louison kein Geld mehr gehabt hatte und vor Hunger an seinen Fingern genagt hatte, hatte ihn jemand angesprochen und vorgeschlagen, sein Haar zu verkaufen. In diesem Moment hatte Louison erfahren, dass Haare als Währung verwendet werden konnten. Seitdem hatte er oft sein Haar abgeschnitten und verkauft. Allerdings hatte er nach einiger Zeit, als sich seine Ernährung verschlechtert hatte, nicht mehr genug Haare wachsen lassen können, um sie zu verkaufen.

Aufgrund solcher Erinnerungen ließ der junge Herzog sein Haar wachsen, ohne es zu schneiden, selbst nachdem er in der neuen Zeitlinie aufgewacht war. Selbst als Ruger einen kleinen Schnitt vorgeschlagen hatte, lehnte Louison dies entschieden ab.

Hast du damit gerechnet, in eine solche Situation zu geraten?“, fragte Carlton.

Wie hätte ich das? Ich bin jemand, der es hasst, kleine Brotreste wegzuwerfen – es wäre Verschwendung, mein Haar zu schneiden.“

Ein Aristokrat, der sich weigerte, seine Haare zu schneiden, weil er sich kein einziges Brot leisten konnte – dieser Mann besaß ein Land, auf dem sich Weizenfelder bis zum Horizont erstreckten. Carlton war sprachlos und traurig zugleich. Wie kam es, dass ein Adliger wie er lernte, seine Haare zu verkaufen?

Jetzt beeile dich“, drängte Louison.

Carlton zog seinen Dolch und griff mit der anderen Hand vorsichtig nach Louisons Haar. Louisons Haar war farbenprächtig und glänzend – wie echtes Gold. Die Textur unter den Fingerspitzen des Söldners war überraschend weich … und doch auch glatt und straff.

Jeder wäre neidisch und würde dieses Haar begehren.

Außerdem stand es Louison so unglaublich gut. Der junge Herzog hatte eine wunderschöne Kinnlinie und feine, elegante Gesichtszüge. Er sah aus wie eine schöne, vergoldete Statue.

Carlton konnte nicht anders, als die goldenen Strähnen durch seine Finger gleiten zu lassen.





2 Kommentare:

  1. Im Moment sieht ihre Planung wie es weitergeht, gar nicht so schlecht aus. Nur müssen sie es noch schaffe, das Ganze umzusetzen, ohne dabei aufzufliegen. Aber ja, Louison sein Haar Q___Q Doch jetzt bleibt ihm nichts andere übrig und Haare wachsen ja wieder. Nur Carlton fällt es wohl gerade sehr schwer. XD

    AntwortenLöschen
  2. sowas aber auch da fischt er irgendwo so einen pilgerpass herbei und schon haben sie eine chance weiter zu kommen ohne das sie vielleicht erkannt werden. das schöne haar aber zur not macht man sowas halt und so haben sie auch ein wenig geld das sie weiter können.

    AntwortenLöschen