Kapitel 50


Kannst du nicht schlafen?“, fragte Louison. Carltons Augen flogen sofort auf. Der junge Herzog konnte sein schwaches Spiegelbild in den dunklen Pupillen des Söldners sehen.

Was ist mit dir, mein Herzog?“

Ich bin ein bisschen besorgt.“

Worüber?“

Wegen der Schattenwölfe. Warum glaubst du, haben sie das Dorf angegriffen?“

Carlton dachte einen Moment nach, bevor er antwortete: „An diesem Dorf war nichts Besonderes.“

Genau. Es ist ein von Flüchtlingen gegründetes Dorf. Die meisten Leute wissen nicht einmal, dass es dort ein Dorf gibt, oder?“

Sie müssen es bemerkt haben, als sie vorbeiliefen. Schattenwölfe wären wahrscheinlich nicht den Weg entlang gelaufen, um Aufmerksamkeit zu vermeiden. Vielleicht wäre es einfacher gewesen, ein Dorf tief in den Bergen zu finden.“

Dann hätten sie einfach vorbeigehen sollen. Warum haben sie angegriffen?“

Vielleicht suchten sie etwas zum fressen. Oder es war zur Übung.“

„… Es hätte beides sein können, schätze ich.“ Louison war sprachlos vor Kummer. Die Erinnerung an die Blutflecken überall verursachte ihm ein unheimliches, eisiges Gefühl.

Carlton beobachtete Louison dabei, wie er sich hin und her wälzte, und fuhr fort: „Es ist nicht die Schuld des Herzogs, dass das Dorf von diesen Bastarden angegriffen wurde. Es war einfach Pech.“

„…Das ist es nicht.“

Ich komme aus der Zukunft, wollte Louison sagen, verschluckte diese Worte jedoch. Er hätte das möglicherweise verhindern können, wenn er etwas schlauer gewesen wäre – wenn er aufmerksamer gewesen wäre. Genauso, wie er sich auf den Heuschreckenangriff vorbereitet hatte.

Mein Herzog kann unmöglich alles auf der Welt wissen. Und selbst wenn du es wüsstest, könntest du unmöglich auf alles vorbereitet sein. Jeder weiß, dass die Winter streng sind, aber es gibt immer wieder Menschen, die erfrieren.“ Carlton sprach, als hätte er in Louisons Herz geblickt.

Louison war verblüfft: „Trotzdem tut es mir leid.“

Es ist etwas, das bereits passiert ist. Was würde sich ändern, wenn mein Herzog sich schlecht fühlt? Schlaf lieber. Mach dir tagsüber Sorgen – es gibt sowieso nichts anderes zu tun, während wir laufen, oder?“ Carltons Worte waren unsympathisch und kühl, aber er hatte nicht unrecht. Es war Zeit, etwas zu schlafen und Kräfte für den Weg zu sammeln, den er morgen bewältigen musste.

Louison zwang sich, die Augen zu schließen und versuchte, die Schuldgefühle zu ignorieren, die in sein Bewusstsein kamen. Dann wurde er müde.

Wie du schon sagtest, ich werde jetzt nicht darüber nachdenken … Wenn wir in der Hauptstadt ankommen, werde ich nach weiteren Überlebenden aus diesem Dorf suchen. Ich werde ihnen etwas Land geben, damit sie einen Bauernhof aufbauen und sich niederlassen können“, murmelte Louison im Halbschlaf.

Sie gehören wahrscheinlich nicht zu deinem Herzogtum.“

Ich bin der große Herr des Südens. Selbst wenn sie Teil des Besitzes von jemand anderem sind, sollte ich dazu in der Lage sein.“

Ja. Ja, natürlich.“

Wenn man Macht hat, sollte man sie auch nutzen. Findest du nicht auch?“ Louison schlief daraufhin sofort ein.

„…Mein Herzog?“

„……“

Louison Anness?“

„……“

Es kam keine Antwort. Carlton sah Louison ins schlafende Gesicht und stand auf. Dann ging er vorsichtig zu Louisons Füßen, zog ihm Schuhe und Strümpfe aus. Da der junge Herzog diese Schuhe schon eine ganze Weile getragen hatte, roch es muffig, aber Carlton störte das nicht.

Louisons Füße waren glatt und weich – ohne eine einzige Schwiele. Sie waren wohlgeformt und wunderschön blass. Carlton war verblüfft über seinen Drang, sie anzufassen und zu streicheln.

Was ist das? Was mache ich da?

Es waren nur stinkende Füße. Warum fühlte er sich so?

Carlton unterdrückte seinen unerklärlichen Impuls und setzte sein Vorhaben fort. Er wusch Louisons Füße mit Wasser, das er aus dem Dorf mitgebracht hatte. Anschließend wischte er die Wassertropfen vorsichtig mit einem Tuch ab und massierte dabei beide Füße und Knöchel. Die Muskeln wurden weicher, während er gekonnt Louisons steife Waden massierte. All dies würde es dem jungen Herzog erleichtern, morgen zu gehen.

Carlton trug Salbe, die er im Dorf gefunden hatte, auf Louisons Haut auf. Während dieser ganzen Zeit schlief Louison – er war für die Welt tot.

Carlton grinste und lachte leise: „Schlaf gut.“

Wenn der junge Herzog nicht aufwachte und nicht bemerkte, dass jemand seine Füße massierte, musste er unglaublich erschöpft gewesen sein.

Carlton war stolz darauf, dass der Herzog keinerlei Anzeichen von Schwäche zeigte, als ob der junge Herzog den Wunsch hätte, ihm nicht zur Last zu fallen.

Carlton zog Louison wieder Schuhe und Strümpfe an. Glücklicherweise wachte Louison nicht auf. Schon die Vorstellung, dabei erwischt zu werden, wie er heimlich für den jungen Herzog sorgte, ließ Carlton sich unbehaglich fühlen.

Carlton legte sich wieder neben den jungen Herzog. Obwohl die beiden das Lagerfeuer angezündet hatten, fühlte sich die Umgebung immer noch kalt und leer an, als der Söldner die Augen schloss. Die Totenstille weckte Unruhe in ihm.

Er umarmte Louison heimlich und behutsam. Carlton spürte dessen Wärme in seinen Armen. Als er die Augen schloss, hörte Carlton Louisons Atem sich mit seinem eigenen vermischen. All das beruhigte den Söldner.

Am nächsten Morgen erwachte Louison in Carltons Armen.

War es in der Nacht wirklich so kalt…?

Er konnte nicht glauben, dass er den Söldner umarmt hatte, obwohl sie neben einem Lagerfeuer geschlafen hatten. Louison spielte verlegen mit seinem Haar. Carlton stand sofort auf, sagte dem jungen Herzog, dass er etwas Fleisch jagen würde und er ruhig sein solle, und verschwand in den Wald.

Wäre Louison nicht in seinen jüngeren Körper zurückgefallen, wäre er bereits dreißig Jahre alt. Und wenn man bedachte, dass er nun wie ein Kind behandelt wurde … Louison schmollte.

Wenn ich es mir recht überlege, wie alt ist Carlton?

Wenn man Louisons Alter vor der Rückkehr hinzufügte, war der junge Herzog jetzt fast dreißig Jahre alt. Er hatte den Söldner nicht nach seinem Alter gefragt, aber es war unwahrscheinlich, dass der Mann älter als dreißig Jahre war.

Ich bin wahrscheinlich sein Hyung…?

Der Gedanke, dass Carlton ihn „Hyung“ nannte, verursachte Louison eine Gänsehaut, doch gleichzeitig freute sich der junge Herzog über diesen Gedanken.

Das nächste Mal sollte ich fragen, wie alt er ist.

Mit diesem Gedanken im Kopf wartete Louison und starrte ausdruckslos auf seine Umgebung. Kurze Zeit später kam Carlton zurück.

In diesen Wäldern gibt es überhaupt keine wilden Tiere …“

Weil der Söldner versprochen hatte, Fleisch mitzubringen, sah Carlton ein wenig verlegen aus. Doch etwas viel Wertvolleres als Fleisch stand an der Seite des Söldners. Es sah aus wie ein Pferd, war aber viel dümmer, kleiner und unbeholfener. Es war ein Esel mit liebenswerten langen, spitzen Ohren.

Warum hast du einen Esel?“, fragte Louison.

Angesichts der Zügel war es unwahrscheinlich, dass es sich um einen wilden Esel handelte.

Louison sprang auf und näherte sich Carlton. Der Esel wieherte und schüttelte spielerisch den Kopf.

Einer der Räuber hatte mir von ihm erzählt. Es gab einen Esel, der im Dorf gemeinsam genutzt wurde, aber vor zehn Tagen ist er weggelaufen. Ich habe nach ihm gesucht – nur für den Fall – und ihn hierher gebracht.“

Wann hat er dir das erzählt?“

Oh, letztens – jedenfalls kannst du diesen Kerl hier ab morgen reiten. Er ist fügsam.“ Carlton streichelte den Hals des Esels. Der Esel schien so an dem Söldner zu hängen. Er schloss die Augen und sah aus, als würde er lächeln.

Die schwarzen, zufriedenen Augen des Esels waren so niedlich. Louison streckte die Hand aus, um ihn zu streicheln.

Ah!“

Der Esel machte Anstalten, den jungen Herzog zu beißen.

Er ist überhaupt nicht fügsam“, schmollte Louison. Das war fügsam?! Anders als bei Carlton starrte der Esel den jungen Herzog kämpferisch an.

Warum siehst du mich so an? Du warst so lieb und sanft zu Carlton“, brummelte Louison. Der Esel schnaubte, als fände er Louisons Worte absurd.

Carlton brach in Gelächter aus: „Mein Herzog kann wirklich nicht mit diesen Tieren umgehen und er kommt auch mit keinem der Pferde zurecht, die in seinem Schloss gezüchtet werden.“

Liegt es nicht daran, dass du einfach unnatürlich gut mit ihnen umgehen kannst?“, beschwerte sich Louison.

Diese Tiere sind einfach besonders empfindlich und vorsichtig. Sie mögen es nicht, wenn man so unbekümmert an sie herangeht.“

Halte vorerst Abstand und zeige deine Annäherung bewusst und vorsichtig. Du musst warten, bis er dich richtig beschnuppern kann“, demonstrierte Carlton. Der Esel fraß die 'vergrabene alte Hexe', die Carlton ihm anbot, ohne zu zögern.

Ich glaube, er mag nur dich.“

Probiere es einfach mal.“

Louison streckte zögernd eine 'vergrabene alte Hexe' in Richtung des Esels aus. „H-hier…etwas Leckeres.“

Der Esel rührte sich keinen Zentimeter. Ehrlich, was mache ich hier eigentlich?

Louison überlegte, ob er die 'vergrabene alte Hexe' selbst essen sollte, aber Carlton warf dem jungen Herzog einen Blick zu und sagte ihm, er solle geduldig sein. Nach einer Weile schnüffelte der Esel an der Wurzel und fraß sie vorsichtig.

!“

Versuche nun, ihn langsam zu berühren. Sanft.“

Vorsichtig streichelte Louison den Kopf des Esels. Sein Fell war weicher und wärmer, als er es sich vorgestellt hatte. Da der Esel auf der 'vergrabenen alten Hexe' kaute, bewegten sich seine Muskeln faszinierend unter den Fingerspitzen des jungen Herzogs.

Louison kicherte leise: „Er ist irgendwie niedlich.“

In der Tat.“ Carltons Aufmerksamkeit war auf Louison gerichtet.

Unter Carltons spezieller Anleitung – und nach vielen Fehlversuchen – schaffte es Louison schließlich, auf dem Rücken des Esels zu reiten. Obwohl der Esel kleiner als ein Pferd war, war es immer noch eine große Herausforderung, ohne Sattel oder Steigbügel hinaufzuklettern. Louison war überglücklich und klatschte mit Carlton die Hände.

Die beiden machten sich wieder auf den Weg. Louison ritt auf dem Esel, Carlton führte die Zügel.

Dank dieses 'Rosses' konnten sie bequem reisen und größere Entfernungen zurücklegen. Louisons Reitkünste blieben unverändert, aber dank Carltons guter Führung blieb der Esel nie mitten auf dem Weg stehen.

Als sein Körper sich zu entspannen begann, wurde Louison von den Sorgen heimgesucht, die er während der Nacht zu ignorieren versucht hatte. Er hatte Angst, dass sie auf dem Weg den Bergpfad hinunter einer weiteren seltsamen Gruppe begegnen könnten – oder vielleicht Rugers Bande.

Doch nichts geschah. Die Monster hatten alle wilden Tiere vertrieben und Carlton und Louison hatten das Gefühl, die einzigen auf der Welt zu sein, als sie durch den stillen und ruhigen Wald reisten.

Die anfängliche Anspannung des Herzogs begann zu verschwinden. Die beiden zogen weiter und um ihre Langeweile zu vertreiben, erzählten sie sich belanglose Geschichten – obwohl einige ihrer Gespräche einen tiefen Eindruck beieinander hinterließen.



Info

Hyung“ (koreanisch) ist die Bezeichnung, die jüngere Männer für ältere Männer verwenden, denen sie nahe stehen oder mit denen sie blutsverwandt sind. Es bedeutet „Bruder“, aber umgangssprachlich ist es mehr als das. Es ist eine Art Anrede.





3 Kommentare:

  1. Louison macht sich viel zu viele Gedanken. Aber man kann ihn gut verstehen. Es ist nur schwer die Gedanken zur Ruhe zu bringen, aber dann war der Schlaf doch stärker. Nur Carlton... der sich ja selber fragt, was er da gerade macht. Eine sehr gute Frage XD Allgemein geht da gerade immer mehr was in Carlton vor XD
    Und dann taucht er plötzlich mit einem Esel auf XDD Könnte dieser mit einem gewissen anderen Esel verwandt sein, der süchtig nach Äpfeln ist? XD Genauso launisch wie dieser, ist er ja XDD Und er macht es Louison nicht gerade leicht am Anfang XD Zumindest Endet das erste Buch ohne Cliffhanger. Damit hatte ich schon gerechnet. Aber wie schnell das jetzt ging, dass das erste Buch nun fertig ist und man mit mehr Fragen als Antworten zum zweiten Buch dann gehen wird. Ich sage an dieser Stelle vielen lieben Dank für das ganze übersetzen und bin schon auf das zweite Buch gespannt^^

    AntwortenLöschen
  2. Wie schön für Louison, erst bekommt er bessere Schuhe, dann die Füße massiert und nun darf er auf einem Esel reisen, Carlton ist schon sehr fürsorglich zu seinem Herzog

    AntwortenLöschen
  3. luis macht sich sorgen über das was im dorf passiert ist doch carl sagt was das in endlich in ruhe schlafen lässt. wer hätte das gedacht das sich carl seine füße wäscht und solche gedanken hat.( ist er ein fuß fetischist) . auch noch massiert das es im morgen leichter geht und dann das mit dem umarmen ist das niedlich. carl bringt nach seiner jagdt einen esel mit der in zu mögen scheint aber mit carls anweissung kann luis in nun auch streicheln und auf im reiten. bin gespannt wie es weiter geht.

    AntwortenLöschen