Kapitel 30


Natürlich weiß ich das. Das ist doch die 'vergrabene alte Hexe', oder?“, sagte Louison.

Du weißt das? Und trotzdem willst du es essen…? Willst du dich vergiften?“

Mich vergiften? Warum sollte ich das tun?“ Louison erkannte, dass Carlton etwas falsch verstanden hatte. „Sie müssen etwas missverstanden haben. Eine frisch geerntete 'alte Hexe' ist überhaupt nicht giftig. Ich bin hergekommen, um sie auszugraben, mit der Absicht, sie morgen dem General vorzulegen, damit er darüber nachdenken kann, ob sie als Ersatz für Weizen verwendet werden könnte.“

Warum hast du dann versucht, eine zu essen?“, fragte Carlton.

Ich habe so hart gearbeitet, um sie zu ernten. Ich sollte zumindest eine Kostprobe davon bekommen!“

Als Carlton hörte, wie Louison über die 'alte Hexe' sprach, als wäre es ganz normales Essen wie Brot oder Obst, war er sprachlos.

Das Gift beginnt sich in der Pflanze zu entwickeln, sobald sie dem Sonnenlicht ausgesetzt ist. Je früher man also die 'alte Hexe' röstet, desto besser“, fügte Louison hinzu.

Woher weiß der Herzog das? Bist du sicher?“

Ich bin sicher. Ich habe sie in der Vergangenheit probiert.“

Spätere Untersuchungen würden Louisons Behauptungen untermauern. Doch vorerst konnte sich Louison nur auf seine eigenen Worte und Erfahrungen verlassen.

Carlton ließ sich nicht so leicht überzeugen: „Wann? Warum sollte der Herzog so etwas essen? Sag jetzt nicht, dass der Süden einen anderen Geschmack hat. Ich weiß, dass die Einstellung der Menschen zu dieser Pflanze hier dieselbe ist.“

Hmm? Ach,… das ist lange her“, Louison blieb nichts anderes übrig, als auszuweichen, „Als ich jung war, habe ich heimlich viele 'alte Weiber' gegessen.“

Woher sollte Carlton wissen dass Louisons Kindheitserfahrungen nicht stimmten? Es war die perfekte Ausrede.

Louison beharrte weiter darauf: „Ich habe allein gegessen, deshalb wissen viele andere nicht, was ich weiß. Ich habe aufgehört, sie zu ernten, als ich erwachsen wurde, aber plötzlich sind mir einige alte Erinnerungen wieder eingefallen. Die 'vergrabene alte Hexe' ist sicher, das weiß ich .“

„…Du hast viele davon gegessen?“

Das stimmt. Wenn ich die Wurzel nicht aß, bedeutete es, dass es keine mehr gab“, nickte Louison, während er sich an die Vergangenheit erinnerte.

Als er keine 'vergrabenen alten Hexen' hatte finden können, wäre er fast verhungert. Es war ein kalter und rauer Winter im nordwestlichen Teil des Königreichs gewesen.

Zu kalt, um nach Wurzeln zu graben. Wenn der einarmige Pilger ihn nicht gefunden gehabt hätte, dann wäre Louison gestorben.

Es gab Zeiten, in denen ich mir gewünscht hätte, ich könnte das essen, damit mein Magen sich wenigstens voll anfühlt.

Mit dem einarmigen Pilger hatte er nicht gehungert, aber sie hatten es sich auch nicht leisten können, sich satt zu essen. Kälte und Hunger, … dass war das Schicksal der Wandernden Bettler gewesen.

Louisons Augen wurden kurz trüb, als er in Erinnerungen schwelgte.

Carltons Augen weiteten sich leicht.

Er… hat viel… davon gegessen? Aber warum?

Für Carlton war die 'vergrabene alte Hexe' hauptsächlich Futter für Kühe und Schweine. Im Süden bekamen die Schweine besseres Futter als das – nur die Ärmsten würden sich an einer 'Hexe' laben.

Wie konnte Louison, ein König dieser goldenen Weizenfelder, das Gras essen, das nicht einmal der niedrigste Bauern essen würde?

Auf den ersten Blick mag es etwas eklig aussehen, aber innen drin ist es süß und lecker, wenn es gut gekocht ist. Weich, bekömmlich und nahrhaft. Wenn man daraus Suppe kocht….“, Louison erklärte eifrig, wie man aus der 'vergrabenen alten Hexe' ein ordentliches Gericht machen konnte.

Dieser Eifer verwirrte Carlton noch mehr.

Wenn man ihm zuhört, scheint es wirklich so, als hätte er eine Menge davon gegessen…

Keine Aufführung könnte diese Aufrichtigkeit wiedergeben.

Aber warum? Alles in diesen reichen Ländern gehört doch ihm, oder?

Warum?

Wieso?

Hat niemand im Herzogtum den Herzog zu Essen gegeben …?

Ein Gedanke traf Carlton wie ein Blitzschlag: Was wäre, wenn Louison vernachlässigt oder von den Gefolgsleuten misshandelt aufgewachsen wäre?

In seinem Land ist der Lehnsherr eine absolute Existenz. Die Gefolgsleute schworen ihm, wie einem König, Treue und gehorchten jedem Befehl. Die Hierarchie zwischen dem Lehnsherrn und seinen Vasallen war gesetzlich garantiert und absolut unveränderlich. Allerdings liefen die Dinge in der Welt nicht immer so, wie sie sollten.

Manchmal kam es zu erbitterten Machtkämpfen um die Verwaltung des Anwesens – ein politischer Kampf zwischen dem Lehnsherrn und seinen Beratern. Insbesondere galt: Je jünger und formbarer der Lehnsherr war, desto stärker waren die Vasallen.

Und wenn der Herr jung war und keinen nahen Verwandten hatte, der sich um ihn kümmerte?

Es wurde zwar Wert auf seine Blutlinie und seinen guten Namen gelegt, aber sonst war er nichts, nicht mehr als eine Vogelscheuche. In glücklichen Fällen war Vernachlässigung das Ausmaß des Verbrechens. In schweren Fällen schlossen sich die Vasallen zusammen und misshandelten den jungen Lord. Diese Geschichte mag nicht alltäglich sein, aber sie kam gelegentlich vor.

Man sagte, der Herzog sei im Alter von sechs Jahren zum Lord geworden. Er wurde von seinen Beratern aufgezogen.

Egal, wie brillant und wichtig der Herzog von Anness gewesen sein mochte, er war erst ein sechsjähriges Kind gewesen. Für erfahrene Berater wäre es ein Leichtes gewesen, die Kontrolle über das Schloss zu übernehmen und Louison zu ächten.

Der junge Louison war auf sich allein gestellt gewesen und hatte in einem riesigen Schloss gelebt. Er war wohl hungrig gewesen und hatte Mühe gehabt, Nahrung zu finden. Als er dann ein Schwein beim Fressen gesehen hatte, hatte er wohl gedacht, die 'vergrabene alte Hexe' sei essbar.

Vielleicht war der Herzog von Anness deshalb so gut mit der giftigen Pflanze vertraut.

Ja. Das ist plausibel… Nein, es gibt keine andere mögliche Erklärung.

Hätte Louison eine angemessene Pflege erhalten, hätte er jetzt alle möglichen Leckereien gegessen, statt nach Schweinefutter zu suchen. Es sei denn, Louison hatte wirklich einen seltsamen Geschmackssinn und erntete sein Essen lieber selbst aus der Erde.

Nein, selbst wenn Louison diese Angewohnheit gehabt hätte, hätten loyale Berater ihm nicht erlaubt, eine bekanntermaßen giftige Pflanze zu essen. Eine misshandelte – oder zumindest vernachlässigte – Kindheit könnte also der einzige vernünftige Grund sein.

Unglaublich.

Carlton wurde schwindlig. Der Lord, der anfangs die beste Pflege genossen zu haben schien und nur mit den feinsten Kleidern aufwuchs … er verbarg eine so arme Kindheit unter diesem eleganten, edlen Gesicht. Carlton hätte sich eine solche Wendung nie vorstellen können.

Nein, warte. Jetzt ist nicht die Zeit für wilde Vermutungen.

Carlton versuchte, eine rationale und ruhige Haltung zu bewahren.

Ohne etwas von Carltons innerem Aufruhr zu wissen, blickte Louison besorgt auf die 'alten Hexen' im Lagerfeuer.

Was für eine Verschwendung! Sie werden alle verbrennen!

Louison sprach vorsichtig: „Entschuldigen Sie, wenn das Missverständnis geklärt ist, werde ich diese herausnehmen. Wenn wir sie im Feuer lassen, werden sie alle verbrennen.“

Ha… Mach, was du willst.“

Ja!“ Louison zog die 'alten Hexen' schnell aus dem Feuer. Sie waren zwar leicht verkohlt, aber nicht ungenießbar – zumindest in Louisons Augen.

Louison sah zu Carlton auf und hielt dem Söldner eine 'vergrabene alte Hexe' hin.

Möchten Sie eine essen?“

Nein. Auf keinen Fall“, sagte Carlton mit eindringlichem und ernstem Gesichtsausdruck.

Ah, in Ordnung…“ Louison zog seine ausgestreckte Hand unbeholfen zurück. Dann schälte er die Wurzel und blies dabei ab und zu auf seine Finger. Bald kam das weiße Fleisch zum Vorschein. Der köstliche Duft, der der 'alten Hexe' eigen war, regte seinen Appetit an.

Lassen Sie uns einfach gemütlich essen… Ich habe meinen Ruf sowieso schon ruiniert.“ Er war bereits auf die Knie gegangen und zwischen jemandes Beine gekrochen…was könnte schlimmer sein?

Louison setzte sich auf den Boden und begann zu essen. Carlton stand einfach nur da und sah ihm zu, wie er die Wurzel so vergnügt verspeiste.

In Carltons Augen war die 'alte Hexe' ungefähr so angenehm wie eine verbrannte Hexe. Louison so glücklich damit zu sehen, ließ seinen Kopf pochen.

Ha… er… isst das Ding wirklich?

Louison zuckte zusammen und senkte den Blick, als Carltons Blick zu intensiv wurde.

Ihn so zu sehen …

Carlton dachte über ihre vorherigen Begegnungen nach. Vielleicht wich Louison seinem Blick eher aus Angst aus, als aus Herablassung gegenüber dem Niedergeborenen.

Wie wurde dieser Mann erzogen, dass er am Ende so ein geringes Selbstwertgefühl hat?

War sein geistiger Zustand so gestört, dass er unsinnige Witze glaubte? Das er dazu getrieben wurde, für einen anderen Mann auf Knien zu kriechen? Louisons Verhalten war sicherlich nicht normal.

Carlton war nicht so sanftmütig, Mitleid mit der schwierigen Kindheit des Herzogs zu haben. Objektiv betrachtet war er ein Mistkerl.

Carltons Gewissen plagte ihn jedoch ein wenig. Vielleicht waren Louisons Handlungen, die er als seltsam und verdächtig abgetan hatte, die Handlungen einer Person, die versuchte, ihren Missbrauch zu überwinden.

Es fühlte sich an, als hätte er ein Kind getreten, das versuchte, eine Last zu schleppen, die größer war als sein eigener Körper.

Mistkerle hauen jeden übers Ohr, der ihnen ebenbürtig oder sogar überlegen ist, aber Abschaum sucht sich die Schwachen aus. Im Moment fühlte sich Carlton wie Abschaum.

Manche mögen denken, dass es zwischen den beiden keinen Unterschied gibt, aber für Carlton gab es einen riesigen Unterschied.

Hmmm, … die hier ist zu verbrannt, … hier gibt es nicht viel zu essen.“ Louison schnalzte bedauernd mit der Zunge. Er hob die verbrannten Wurzeln, eine nach der anderen, auf. Sein Gesicht war ernst und ehrfürchtig wie ein König, der um einen geschätzten Diener trauert.

Er sah auf die Wurzel, die er zuvor aufgrund von Carltons Einmischung fallen gelassen hatte. „Die hier war genau richtig gegart, … und nun liegt sie einfach im Gras herum.“

Carltons scharfen Augen entging Louisons Blick nicht. „Da ist ein riesiges Feld voller giftiger Wurzeln. Warum konzentrierst du dich auf diese eine?“

Carlton konnte kein Mitgefühl für Louison empfinden, aber andererseits fragte er sich, welche Ereignisse zu diesem Moment geführt hatten. Er musste eine Zeit durchgemacht haben, in der ihm sogar giftige Pflanzen verboten waren. Carlton war aus einem unbekannten Grund verärgert.

Ich kann noch mehr ernten. Reicht eine mehr?“ Carlton hob Louisons Schaufel auf.

Verwirrt antwortete der junge Herzog: „Ähm … Ah, ich würde gern noch drei weitere ausgraben.“

In Ordnung.“ Carlton überblickte das Feld und grub geschickt die Wurzeln aus. Sogar beim Schaufeln machte er gute Figur. Die frisch geernteten Wurzeln wurden schnell in einen Sack gesteckt.





1 Kommentar:

  1. ok carlton hat nun eine rege fantasie . das luis in jungen jahren hungern gelassen wurde und deshalb mit der hexe gut auskennt. so wie er das aufzählt muss er schon viel erfahrung haben. jetzt ist sogar carlton bereit im zu helfen und er gräbt im sogar die hexe aus die dann in einen sack gesteckt wird.ich find die beiden einfach süß. freu mich schon wenns weiter geht.

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