Ein Mann folgte Morrison. Dem vollen Haar nach zu urteilen, war der Mann kein Mönch. Zudem war er recht vornehm gekleidet. Louison hatte keine Ahnung, wer er war, aber der Mann schien sich sehr zu freuen, den jungen Herzog zu sehen. „Geschätzter Pilger. Es scheint, wir treffen uns schneller wieder, als gedacht.“
„Ahaha. Ja... Gewiss. Doch, wer seid Ihr...?“ Louison lächelte verlegen und wandte sich fragend an den Inquisitor.
Morrison erklärte: „Dieser Mann war mit uns auf demselben Schiff, als wir in Mittil ablegten. Er arbeitet offenbar als Bote für dieses Kloster.“
„Ich habe Euch gegrüßt, als Ihr von Bord gegangen seid, aber das habt Ihr wohl vergessen. Ich hatte Euch eingeladen, unser Kloster zu besuchen, um Euch meine Dankbarkeit zu erweisen.“
Louison erinnerte sich in der Tat nicht an all die Grußworte, Segenswünsche oder anderen Höflichkeiten. Ihn hatten mehr als ein oder zwei Leute auf ähnliche Weise gegrüßt gehabt. Außerdem war er schockiert über die Ereignisse an diesem Tag – Morrison hatte ihn entführt –, so dass sich der junge Herzog kaum an irgendjemandes Gesicht erinnern konnte. „Ich – ich bitte um Verzeihung. Mein Gedächtnis ist manchmal etwas …“
„Das ist schon in Ordnung. So etwas kann geschehen. Ich hörte, Ihr begehrt eine Audienz bei Herzog Assylus – dabei könnte ich behilflich sein.“ Der Mann erklärte, dass der Große Lord des Ostens jüngst ein Buch bei dem Kloster in Auftrag gegeben hatte. Er selbst sei dazu auserkoren worden, das Werk zu überbringen, und könne Louisons Gruppe mitnehmen.
Natürlich war der Mann nicht in der Lage, den Großen Lord des Ostens direkt zu begrüßen. Die Gruppe konnte ihn jedoch in das Zeltlager des Großen Lords begleiten und, wenn er das Buch einem Diener überreichte, diskret Louison erwähnen.
„Wenn Ihr das für uns tun könntet, wäre ich Euch natürlich äußerst dankbar, doch frage ich mich, ob wir Euch nicht zu viel abverlangen …“
Der Bote winkte Louisons Bedenken ab. „Ich schulde dem geschätzten Pilger einen großen Gefallen. Ein paar Worte zu sprechen, ist nichts im Vergleich zu den Prüfungen, die Ihr auf Euch nehmt. Zudem ist der Herzog tief gläubig und wird sicherlich an dem inzwischen berühmten Pilger interessiert sein.“
„An mir?“
„Gewiss. Er wird gerne von Euren Taten auf dem Schiff hören – schließlich geschah dies im Osten. Ich bin sicher, er wird Euch große Ehre erweisen.“
„Dann überlasse ich dies Euch.“ Louison nahm das Angebot an – es gab keinen Grund, es abzulehnen. Außerdem deutete Morrisons Lächeln darauf hin, dass es keine anderen Möglichkeiten gab.
Berühmt zu sein, ist wohl nicht immer schlecht.
Selbst ohne Morrisons Einfluss gäbe es wohl viele, die ihm helfen wollten.
Stolz dachte Louison, dass dies an seinen bisherigen Leistungen liegen mochte.
***
Der Große Lord des Ostens hielt sich in einem Zeltlager auf einer Ebene auf, etwa eine halbe Tagesreise von dem Kloster entfernt. Sein Gefolge bewegte sich nur langsam gen Hauptstadt.
Als Louison das Lager erreichte, sah er Dutzende große und kleine Zelte, die sich über die Ebene erstreckten. Ein Holzzaun markierte die Grenze, und das gesamte Lager wirkte wie ein Dorf der Nomaden. In der Mitte flatterte ein rotes Banner mit mit wellenartigem Muster – das Wappen des Großen Lord des Ostens.
Um das zentrale Banner wehten weitere Banner, die verschiedene Adelsfamilien repräsentierten: Offenbar hatte der Große Lord des Ostens Verbündete um sich geschart, die nun gemeinsam mit ihm reisten.
In diesen chaotischen Zeiten wollte der Adel im Osten wohl seine Stärke und Treue zum Großen Lord beweisen.
Viele Menschen lagerten außerhalb des Holzzaunes – solche, die nicht Teil des Gefolges sein konnten, aber einen Blick auf den mächtigen Adligen erhaschen wollten. Sie baten die Wachen, versuchten sie zu bestechen … Es herrschte ein großes Durcheinander.
Es muss schwierig gewesen sein, überhaupt so weit zu kommen.
Als sie den Aufenthaltsort des Großen Lords erfuhren, hatte er gehofft, eine Audienz zu erhalten. Doch angesichts der Lage vor Ort schien es unmöglich, auch nur in die Nähe des Eingangs zu gelangen.
Vielleicht könnte er seine Kapuze abnehmen und sich zu erkennen geben – so würde er sicher problemlos passieren können. Doch Louison wollte seine Identität so lange wie möglich verbergen. Es erschien ihm klüger, sich erst im Angesicht des Großen Lords zu offenbaren.
Louisons Gefolge passierte die hölzerne Absperrung mühelos, da sie als Botengruppe vorgestellt worden waren. Missgünstige Blicke der Menge folgten ihnen.
Ein Diener des Großen Lords kam heraus, um den Boten zu begrüßen. „Mein Herr erwartet dieses Buch schon voller Ungeduld.“ Vorsichtig blätterte der Diener mit behandschuhten Händen die Seiten durch. Die handgeschriebenen und - gezeichneten Werke der Mönche waren wahre Kunstwerke.
Währenddessen sprach der Bote leise mit dem Diener über Louisons Gruppe. Mit einem wohlgesetzten Blick erklärte er, dass die Geschichte des Pilgers sicherlich das Interesse des Großen Lords wecken würde.
„Welch ein Glück – das Bankett droht gerade langweilig zu werden. Es sollte wohl in Ordnung sein, Euch vorzustellen…“ Der Diener warf einen Blick auf Louison und nickte schließlich.
Ruhig bemerkte der Bote, dass alles gut gelaufen sei, und verabschiedete sich. Louison und seine Gefährten wurden zu einem großen, prächtigen Zelt mit roten Stickereien geführt.
Ein weiterer Diener betrat das Zelt und erklärte ihnen, dass er den Großen Lord des Ostens um eine Audienz für den Pilger bitten würde. Der Diener, der Louisons Gruppe begleitet hatte, erklärte Louison die grundlegenden Regeln der Etikette. Die Worte gingen für den jungen Herzog zum einen Ohr hinein und zum anderen wieder hinaus.
Diesmal werde ich doch nicht verjagt, oder?
Die Dinge hatten sich seit der Rückkehr verändert. Er wusste das genau, aber ein wenig Angst war unvermeidlich, als der junge Herzog sich an alte Geschehnisse erinnerte.
In diesem Moment nahm Carlton heimlich die Hand des jungen Herzogs. Die Handfläche des Söldners schloss sich fest um dessen Handrücken – das allein beruhigte Louison.
Das stimmt. Wenn etwas passiert, wird Carlton mich retten.
Kurz darauf trat der Diener ein und sagte: „Ihr könnt eintreten.“
„Wenn wir drinnen sind, überlasst alles mir. Ihr beide solltet möglichst nicht sprechen.“
„Verstanden.“
„Natürlich.“
Louison atmete tief ein, bevor er eintrat. Der begleitende Diener ging voraus, gefolgt von Louison, während Carlton und Morrison hinter ihm folgten.
Im Zelt war das Bankett in vollem Gange. Eine Kapelle spielte, und die Adligen plauderten, während sie aßen und tranken. Die anwesenden Diener waren fleißig bei der Arbeit, und die Ritter standen aufrecht und wachsam.
Der Anblick erinnerte Louison an ein Bankett im Schloss des Herzogs, doch die Zahl der anwesenden Adligen war überwältigend. Es schien, als wären alle Lords der Ostgebiete hier versammelt. Die Adligen waren so sehr mit ihrem Vergnügen beschäftigt, dass sie Louisons Gruppe kaum Beachtung schenkten.
Wohin wir auch gingen, hörten wir, dass die Adligen geflohen waren. Ich schätze, hier haben sich alle versammelt.
Angesichts der unsicheren Zeiten war es vielleicht eine vernünftige Entscheidung, sich unter den Schutz des Großen Lords zu begeben. Dennoch erschien ihr Verhalten nach außen hin armselig.
Während Banditen und Monster das Land verwüsteten und die Menschen Tag für Tag ihre Heimat verlassen mussten, genossen diese sogenannten Lords hier ihre Getränke und Feste. Ihr Wohlstand wurde auf Kosten der Verzweiflung ihrer Untertanen erkauft.
Als Louison darüber nachdachte, sehnte er sich verzweifelt nach der Rückkehr in sein Herzogtum.
Der junge Herzog erreichte das Ende des Teppichs und stand vor dem Großen Lord des Ostens. Dieser wiederum saß auf einem mit Edelsteinen verzierten Stuhl. Louisons Annäherung kümmerte ihn nicht, er lachte und scherzte mit den jungen Dienstmädchen.
Louison absichtlich keine Aufmerksamkeit zu schenken, war ein kleiner Beweis für die Autorität des Großen Lords des Ostens.
Der Herzog von Assylus, der Große Lord des Ostens, sah genauso aus wie in Louisons Erinnerung: ein älterer Herr mit einem freundlichen und entspannten Gesichtsausdruck, dessen Augen jedoch vor jugendlichem Scharfsinn funkelten. Der Mann war ein erfahrener Politiker und hatte sich über viele Jahre hinweg seinen Einfluss bewahrt.
Ein äußerst beständiger Mann.
Dieser Eindruck ließ den letzten Rest von Louisons Unruhe verfliegen. Während er den Lord des Ostens beobachtete, sehnte sich das Herz des jungen Herzogs danach, es dem Manne gleich zu tun. Obwohl er Hilfe suchte, war Louison in ähnlicher Weise ein anderer großer Lord.
Er war Louison Anness, Herrscher über die goldenen Felder. Wenn ein Mann seines Standes niederkniete, dann nur vor Gott oder vor dem König.
Wenn er darüber nachdachte, hatte er mehrmals vor Carlton niedergekniet, aber das hatte mit dem Schicksal des Herzogtums zusammengehangen … also konnte der junge Herzog darüber hinwegsehen. Auf jeden Fall verletzte es seinen Stolz, sich als Erster zu verneigen.
Louison stand in einiger Entfernung und wartete darauf, dass der Große Lord des Ostens ihn bemerkte.
„Hm. Hm Hm.“ Der Diener räusperte sich, um ihn auf sein Fehlverhalten hinzuweisen, doch Louison tat, als habe er nichts gehört. Schließlich senkte der Diener die Stimme und zischte: „Was tut Ihr? So respektlos vor unserem Lord!“
Louison ignorierte die Rufe des Dieners. Er drehte sich um, nur um nachzusehen: Morrison und Carlton saßen mit einem Knie auf dem Boden und gesenkten Köpfen da.
Es war ungewohnt, die beiden so höflich zu sehen – schließlich waren sie eher dafür bekannt, Probleme mit Gewalt zu lösen, unabhängig vom Rang ihres Gegenübers.
„Habt Ihr je einen solch unverschämten Mann gesehen?! Wie kann er unserem Lord aufrecht gegenübertreten!“ Der Diener schimpfte laut, und die Ritter traten verärgert heran. Nun wandten auch die Adligen ihre Blicke Louison Gruppe zu, neugierig, was die Aufregung verursachte. Als sie den jungen Mann sahen, der allein stand, begann ein Murmeln durch die Menge zu gehen.
Der Große Lord des Ostens bemerkte schließlich die Unruhe und blickte in ihre Richtung. Gerade als Louison daran dachte, zu sprechen, ergriff der andere das Wort: „Wartet.“
Bei diesem Wort blieben alle Diener und Ritter stehen, die Adligen hielten den Atem an und warteten auf das weitere Verhalten ihres Herzogs. Der Große Lord des Ostens hatte sich seine Autorität über die Jahre bewahrt, selbst in solch chaotischen Situationen war die Hierarchie klar abgegrenzt. Das laute Treiben im Zelt verstummte augenblicklich.
Oh, jetzt interessiert mich aber schon, was der Große Lord des Ostens tun wird...
AntwortenLöschensie haben es endlich geschafft zum lord des osten zu kommen. durch diese worte wurden sie alle aufmerksam das luis sich nixht niederkniete. die anderen beiden taten es doch. was hat der lord es osten nun vor,lässt er in weil er der pilger ist oder hat er in irgendwie erkannt wer er wirklich ist. bin gespannt.
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