Kapitel 85


Ruger fand seinen engsten Begleiter. Dieser Mann nannte sich selbst der neunte Anbeter.

Der neunte Anbeter war in Mittil. Als Ruger ihn fragte, warum er, der eigentlich in einem Dorf nahe Confosse stationiert sein sollte, sich in die Stadt begeben hatte, erklärte der Anbeter, dass er einem Pilger nachjagte, der sein sorgfältig geplantes Ritual ruiniert hatte. Vielleicht war dieser Pilger derjenige, der die Gerüchte in Confosse so stark angeheizt hatte. Ruger, der das Gefühl hatte, dass dieser Pilger und Louison auf seltsame Weise miteinander verknüpft waren, war bis nach Mittil gereist.

Der neunte Anbeter wollte gerade den Fluss überqueren, als Ruger angekommen war. Er erklärte, der von ihm verfolgte Pilger sei erst letzte Nacht mit einem Schiff geflohen.

Ruger überredete den Mann, Louison mithilfe des Haares zu finden, welches er in Confosse erworben hatte. Sogar die Opfergaben, die der Mann verlangt hatte, hatte er mitgebracht: eine junge, schwache und verzweifelte lebende Person.

Allerdings hatte diese Person mittlerweile ihren Zweck erfüllt und war kein lebendes Opfer mehr.

Während eines Rituals zu verschwinden? Wie arrogant.“

Der neunte und der elfte Anbeter folgten ihm. Der elfte Anbeter war ein Mann, der mit Schattenwölfen umherstreifte und das Flüchtlingsdorf im Wald ausgelöscht hatte. Dieser Mann handelte aus reiner Hingabe an seine Pflichten und nicht aus eigenem Interesse.

Blut und Dreck klebten an den Roben und Körpern der beiden Männer. Es war offensichtlich, was sie getan hatten. Ihre Gesichter strahlten vor Freude, und ihre Hände zitterten vor Aufregung.

Die Art, wie ihr eure Arbeit erledigt, ist abstoßend – Wenn ihr schon Zuschauer habt, solltet ihr es wenigstens ansehnlich machen“, sagte Ruger sarkastisch.

Du bist derjenige, der das Opfer gebracht und um unsere Hilfe gebeten hat. Warum tust du jetzt so edel? Hast ausgerechnet du davon geträumt, ein Ritter zu werden?“

Die Anbeter lachten, als hätten sie etwas unglaublich Lächerliches gehört. Rugers Gesicht verzog sich sofort. Es stimmte – er hatte früher davon geträumt, ein Ritter zu werden. Diese Erinnerung war eine tiefe Wunde, und der Adjutant duldete es nicht, dass jemand daran rührte.

Wäre mein Vater nicht, würde ich nicht mit Leuten wie euch zusammen sein“, fauchte er.

Du hast gar keinen Vater. Deine Mutter hatte keinen Mann. Oder war es vielleicht so – eine Jungfrau war mit einem Teufelskind schwanger? Dann, schätze ich, sind wir es, die uns um dich kümmern müssen!“

Die Anbeter lachten über Ruger.

Ruger ballte die Fäuste. Wenn er könnte, würde er sie erwürgen, aber das war nicht möglich.

Nach einem herzhaften Lachen klopften die beiden Ruger auf die Schulter: „Wir machen doch nur Spaß. Natürlich wissen wir, wer dein Vater ist. Er ist schließlich unser einziger Gönner. Deshalb helfen wir dir.“

Nun, ich werde dir sagen, wohin der Herzog unterwegs ist.“ Die Augen des neunten Verehrers wurden rot. Das Blut auf seinem Körper verwandelte sich rasch in schwarzen Rauch, kroch über seinen Körper und umwickelte seine Arme. Die Rauchschwaden formten sich zu einem Finger, der auf den Fluss zeigte, bevor er sich in die Ferne erstreckte. „Er ist also auf diesem Fluss. Zufällig ist er auf dem selben Schiff wie der Pilger, den ich gesucht habe.“

Ruger erinnerte sich an seine Karte und in Gedanken zeichnete er Louisons Bewegungen nach.

Ich werde dich im Nu einholen.

Obwohl die Distanz zwischen ihnen groß war, war Ruger sicher, dass er mithilfe der Kräfte der Anbeter schnell aufholen konnte.

Nein, besser noch – Ich werde euch voraus sein.

Carlton war kein leichtes Ziel, das man verfolgen oder besiegen konnte. Deshalb war es besser, eine Falle zu stellen und die beiden zu trennen, um sie dann in einem Überraschungsangriff zu überwältigen. So würde er den jungen Herzog perfekt fangen können.

Lass uns zusammen gehen. Ich glaube, der Pilger, den ich suche, ist ebenfalls in diese Richtung unterwegs. Ich muss den Tod meiner sorgfältig aufgezogenen Kinder rächen“, sagte der neunte Anbeter.

Seine 'Kinder' waren die beiden riesigen Tausendfüßler, die Confosse erschüttert hatten. Ruger hatte sie damals gerettet und ihm übergeben gehabt. Zu der Zeit waren es noch gewöhnliche Tausendfüßler gewesen, aber der Anbeter hatte sie auf unerklärliche Weise zu Monstern gemacht.

Ruger arbeitete zwar mit ihnen zusammen, aber er befolgte damit eigentlich nur Befehle. Er wusste nicht wirklich alles über ihre Sache und Methoden … das Zähmen und Erschaffen von Monstern … all das. Er wusste nur, dass sie seltsame Kräfte nutzten.

Der neunte Anbeter sprach einen Zauber und ein Monster, das er vorbereitet hatte, tauchte auf. Ein riesiger Aal schwamm durch das Wasser, bevor er mit einem kleinen Boot im Maul zurückkam.

Hat er dieses Monster auch selbst erschaffen? Ruger beobachtete ruhig den Aal.

Soll ich dir auch eins machen?“, fragte der elfte Anbeter. Als Ruger nichts erwiderte, lachten die Anbeter erneut. „Du hast auch eine Gabe.“

Ruger schenkte diesen Worten keine Beachtung und kehrte zum Ritualplatz zurück. Die Blutflecken waren noch immer auf dem Boden, aber die Knochen waren auf merkwürdige Weise verschwunden. Er unterdrückte seinen Ekel, als er die goldenen Strähnen von Louisons Haar aufhob, die unter dem Ziegenkopf abgelegt worden waren.

Haarsträhnen, getränkt mit dem Blut eines unschuldigen Opfers.

Es hatte seinen Zweck erfüllt, aber Ruger wollte es nicht einfach so lassen. Er wischte sorgfältig das Blut mit einem Taschentuch ab.

Ich habe mir so viel Mühe gegeben, damit Louison es sich wachsen lässt.

Ruger erinnerte sich, wie Louison eines Morgens verkatert im Nachtgewand herumgesessen hatte. Er hatte das Haar des jungen Herzogs eingeölt und es sorgfältig gebürstet. Das waren glücklichere Zeiten gewesen.

Was, wenn ich kein Spion gewesen wäre? dachte er. Vielleicht würde er dann immer noch Louisons Haar berühren. Zumindest hätte er ihn nicht gezwungen, es abzuschneiden und zu verkaufen, um die Reise zu bezahlen. Carlton war einfach unfähig.

Wäre ich es gewesen, hätte das nie passieren dürfen. Er war sich sicher, dass er Louison – den jungen Herzog – besser schützen könnte als jeder andere. Doch all das war nur vergebliche Fantasie. Ruger war von Anfang an ein Spion gewesen und sein wahrer Herr war jemand anderes.

Es war nur der Befehl seines Meisters gewesen, der ihn zum Adjutant des Herzogs gemacht hatte. Trotzdem hatte er eine Bindung zu dem jungen Herzog entwickelt und sich oft vorgestellt, wie es wäre, Louisons Ritter zu sein. Aber am Ende war all das bedeutungslos geworden.

Egal, wie sehr sein Herz Louison zugeneigt war, er musste den Befehlen seines Meisters gehorchen. Wie ein Ritter, der seinem Herrn treu dient. Obwohl er nicht offiziell zum Ritter ernannt worden war, waren die Lehren und der Kodex des Rittertums immer in Rugers Gedanken.

Wie ihm befohlen, würde er den Herzog von Anness gefangen nehmen.

Er verfolgte Louison lediglich auf diese Befehle hin – nicht mehr und nicht weniger.

Trotz dieser Gelübde behielt Ruger das blutgetränkte Haar in seiner Tasche. Als er sich umdrehte, sah er die beiden Anbeter, die immer noch kichernd auf ihn warteten.


***


Das Herzogtum Anness zur selben Zeit:

Trotz des beispiellosen Verschwindens des Herzogs waren die Menschen im Herzogtum weder frustriert noch verzweifelt. Sie hatten sich rechtzeitig auf den Winter vorbereitet und arbeiteten daran, die aufgestauten Aufgaben zu bewältigen und das Herzogtum zu festigen.

Es mangelte an Arbeitskräften und Kapital, aber niemand beschwerte sich. Während der vergangenen Krise hatte Louison das Herzogtum zusammengehalten, und die Bewohner schöpften Kraft, wenn sie sich an das entschlossene Gesicht des jungen Herzogs erinnerten.

Im Mittelpunkt dieser Bemühungen stand der General. In solchen Zeiten bewahrte er seine Rolle als stabile Ankerfigur und war fest davon überzeugt, dass er Louison nur helfen konnte, indem er das Herzogtum wieder auf die alte Stärke zurückführte. Doch die heutige Nachricht war ein wenig zu viel für ihn.

Der General presste seine Augen fest zusammen. In seiner Hand hielt er die Antwort auf ein Schreiben, das er an den König gesandt hatte.

Eine beträchtliche Anzahl an Soldaten war aus dem Herzogtum abgezogen worden, um den zweiten Prinzen zu unterstützen, doch diese Männer konnten nach ihrer Gefangennahme nicht zurückkehren. Deshalb, obwohl Louison verschwunden war, konnte der General keine ordnungsgemäße Suchtruppe aufstellen.

Also informierte das Herzogtum den König über Louisons Verschwinden und bat um die Rückkehr einiger dieser Gefangenen.

Er erhielt eine Ablehnung. Um die Antwort des Königs zusammenzufassen – das Schreiben war fast zwei Seiten lang –, war eine Rückgabe der Gefangenen unmöglich, es sei denn, Louison selbst gelobte und bewies dem König seine Treue und verlangte ihre Rückgabe. Mit anderen Worten, der König riet dem Herzogtum davon ab, überhaupt nach dem jungen Herzog zu suchen.

Wie kann das sein?! Will seine Hoheit damit sagen, dass es ihm egal ist, was jetzt mit dem Herzog passiert…?!

Trotz der Tatsache, dass Louison sich auf die Seite des zweiten Prinzen gestellt hatte, war er immer noch einer der wenigen Großen Lords. Wenn der König nicht vorhatte, den Süden aufzugeben, konnte er Louison nicht so behandeln. Der General presste sich die schmerzenden Augen, als jemand anderes in sein Büro trat. Den groben und schweren Schritten nach zu urteilen, musste es einer von Carltons Untergebenen und nicht einer der Vasallen des Herzogtums sein.

Da der General Rugers Worten von Anfang an keinen Glauben geschenkt hatte, hatte er Carltons Männer höflich behandelt, als er sie festgenommen hatte, und sie nach weiteren Einzelheiten befragt.

Nachdem Carlton den Boten des ersten Prinzen getroffen hatte, war er vorausgeritten, um Louison einzuholen. Die Männer des Söldners waren ihm gefolgt. Sie hatten ihn über den Angriff der Monster und den darauf folgenden erbitterten Kampf informiert und darüber, dass sie Spuren von jemandem gefunden hätten, der versucht hatte, Louison absichtlich wegzuzerren.

Der General erfuhr, dass Carlton mit Louison reiste – beide waren sicher auf dem Weg in die Hauptstadt. Die Männer teilten ihm sogar mit, dass Ruger gelogen hatte.

Sobald der General alles erfahren hatte, ließ er Carltons Männer frei und versuchte, Ruger gefangen zu nehmen. Obwohl es ihnen nicht gelungen war, den Adjutant gefangen zu nehmen, waren die Männer in dem Schloss des Herzogs geblieben und hatten das Volk mit ihrer Kraft unterstützt. Da Carlton mit Louison unterwegs war, befanden sich die Vasallen des Herzogtums und die Männer des Söldners nun natürlich auf derselben Seite.

Das Herzogtum half sogar dabei, Carltons verstreute Soldaten zusammenzuführen. Sie ersetzten die Lücken, die das Herzogtum aufgrund seines Personalmangels hatte. Jetzt gab es nichts Erfreulicheres als ihren Besuch.

Wir haben Neuigkeiten aus der königlichen Stadt.“

Die Augen des Generals weiteten sich bei diesen Worten. Das erste, was er mit der Macht des Herzogtums getan hatte, war, einen Informanten zu kontaktieren, den Carlton im königlichen Schloss platziert hatte. Es scheint, dass ihre Bemühungen schneller Früchte getragen hatten als erwartet.

Was haben sie gesagt? Wie reagieren die Adligen der Hauptstadt auf das Verschwinden des Herzogs?“

Nichts gutes. Offenbar geht ein Gerücht um.“

Welches Gerücht?“

Dass der Große Lord des Südens ersetzt wird.“

Was?!“, brüllte der General. Ehrlich – der Herzog von Anness ist noch am Leben und wohlauf. Was waren das für lächerliche Gerüchte, die in der Hauptstadt kursierten? „Was ist mit seiner Hoheit? Lässt er solch ein unverschämtes Gerücht wirklich bestehen?“

Nun … Es kommt sehr selten vor, dass der König seine Gedanken zurückhält. Es scheint, als würde sich der Erste Prinz um alle Staatsangelegenheiten kümmern, … und bei diesem Gerücht einfach zuschauen … Aber es ist klar, dass er negativ über den Herzog von Anness denkt.“

Das kann nicht sein“, der General fiel erschrocken auf die Knie, „Wie… Könnte der erste Prinz die Entführung inszeniert haben…?“

Das glaube ich nicht. Wenn das der Fall wäre, hätte er unserem Hauptmann nicht gesagt, er solle den Herzog eskortieren.“ Carltons Männer wiesen diesen Gedankengang energisch zurück, aber innerlich waren sie ebenso besorgt. Es geschahen seltsame Dinge. Wenn der erste Prinz wirklich hinter Louisons Verschwinden steckte, was würde dann mit Carlton geschehen? Und was mit ihnen selbst?

Während sie versuchten, die Beteiligung des ersten Prinzen zu leugnen, versuchten sie, den General zu beruhigen. „Zumindest sollte der Herzog in Sicherheit sein. Unser Hauptmann ist bei ihm. Sie werden sicher in der Hauptstadt ankommen.“

„…Das stimmt. Natürlich. Der Herzog ist so unwissend in weltlichen Angelegenheiten. Ich bin nur froh, dass Ritter Carlton bei ihm ist.“

Zumindest würde der junge Herzog nicht von Dieben ermordet werden oder verhungern.

Die Tatsache, dass der Söldner bei dem jungen Herzog war, verschaffte ihm Erleichterung. Der General lächelte bitter, als er sich daran erinnerte, wie er sein Bestes gegeben hatte, um die beiden zu trennen.

Doch das war noch nicht alles. Carltons Männer waren dem unterbesetzten Herzogtum eine große Hilfe. Wie ironisch, dass der Feind, der sie unterdrückte – der, den sie für den gefährlichsten Gegner hielten – nun ihr zuverlässigster Verbündeter war.

Der General wischte sich das Gesicht mit seinen Händen ab und fasste sich wieder. Obwohl es ihm weh tat, an Louison zu denken, seinen Schützling, der in der Ferne litt, … musste der General sich zusammenreißen. Jetzt mehr als sonst.

Ich bin nicht sicher, was der Prinz denkt, aber … ich kann diese Krise nicht einfach ignorieren und aufgeben. Ich muss Vorkehrungen treffen.

Wenn der erste Prinz wirklich dahintersteckte, würde Louison auch nach seinem Einzug in die Hauptstadt nicht zur Ruhe kommen. Auch Carlton würde ihm dabei keine große Hilfe sein. Das hieß aber nicht, dass es keine Lösung gab. Der General war besorgt, arbeitete aber hart.

Es würde Leute geben, die protestieren würden, wenn der Prinz versuchen würde, den Südlichen Großen Lord absichtlich zu ersetzen. Genauer gesagt, die anderen drei Großen Lords.

Man konnte nicht behaupten, dass sie gute Beziehungen zu Louison oder dem Herzogtum im Allgemeinen pflegten, aber sie würden ihre eigene Autorität nicht verlieren wollen, wenn der Prinz einen Präzedenzfall schaffen würde, indem er die Macht eines Großen Lords auf eine andere Familie übertrug. Der Feind eines Feindes ist sein Freund.

Der General verfasste hastig ein Schreiben an die anderen großen Lords. Er provozierte sie absichtlich, indem er die Geschichte verzerrte, – dass die königliche Familie ihre Autorität verletzte. Die Schreiben konnten mit Hilfe von Carltons Männern schnell zugestellt werden.

Nachdem er seine Arbeit erledigt hatte, blickte der General aus dem Fenster in den blauen Himmel. Er erinnerte sich an den jungen Louison, der sich oft bei der kühlen Luft erkältet hatte. Der gleiche Louison, den er einst nach einem tränenreichen Aufeinandertreffen mit einer laufenden Nase in den Arm genommen hatte, würde jetzt unter diesem gleichen Himmel auf eigenen Beinen Abenteuer erleben.

Der General betete von Herzen, dass dieser junge Mann, den er großgezogen hatte, – der junge Mann, der nun trotz aller Widrigkeiten begann, sich zu entfalten, – nicht zerbrechen würde.


~ Ende 7. Teil ~





2 Kommentare:

  1. Es war mal interessant die Sicht von Ruger zu sehen und wie er denkt und fühlt.
    Aber hier ist auch einiges los, von dem Louison nicht mal ahnt...

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  2. ist das wirklich der ruger tut er es wirklich nur weil es sein meister befohlen hatte oder steckt doch noch einiges mehr dahinter. man bin ich froh das der general von luis und die männer von carl nun zusammen arbeiten. das finde ich jetzt gut. mal sehen wies weiter geht.

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