Kapitel 82


Carlton war scharfsinnig und dachte schnell. Nachdem er gesehen hatte, dass Louison nur in Untergewänder war und sich im Raum umblickt hatte, ahnte er, was passiert war.

Der junge Herzog hatte mit gefesselten Händen und Füßen auf diesem Eisenstuhl gesessen. Morrison hatte ihn mit Folterwerkzeugen bedroht. Dieser Mann hatte jemanden, der ohnehin schon Angst vor der Dunkelheit hatte, in einen dunklen Raum gesperrt und ihn 'nackt wie einen Sünder' entblößt. Was für eine Demütigung.

Carlton konnte Morrison noch weniger verzeihen. Die Augen des Söldners blitzten vor Blutgier.

Als Louison sah, dass der Söldner sich umschaute, eilte er herbei und packte ihn an den Händen. Die Hände des jungen Herzogs waren so kalt, dass es Carlton das Herz brach.

Wie ängstlich muss er gewesen sein, dachte der Söldner. Versucht er, meine Hand festzuhalten, damit er nicht stolpert?

Der junge Herzog sah so erbärmlich aus. Wie sehr musste er sich gefürchtet haben, ganz allein in diesem Raum, dass er immer noch zitterte, obwohl er jetzt in Sicherheit war.

Sein Kopf, der zuvor voller Wut gewesen war, kühlte sich ab. Carlton legte sein Schwert nieder. In diesem Moment hatte es Vorrang, Louison zu beruhigen, anstatt Morrison zu verfolgen. Der Söldner nahm seinen Umhang ab und legte ihn um Louisons Schultern. Die frühe Winterluft war zu kalt für einen fast nackten Körper und die schmalen Schultern des jungen Herzogs zitterten.

Bist du irgendwo verletzt? Hat dir dieser Bastard etwas getan?“, fragte Carlton.

Ach, mir geht es gut. Mir geht es wirklich gut. Dieser Kerl konnte mir nicht einmal etwas antun.“

Carlton untersuchte den Körper des jungen Herzogs sorgfältig, wobei er seinen Blick von oben nach unten wandern ließ. Er suchte nach Verletzungen, die durch den Deckeneinsturz verursacht worden waren. Louison war sich jedoch der Gefühle des Söldners nicht bewusst und wand sich, als dieser ihn in den Umhang hüllte.

Glücklicherweise schien der junge Herzog nicht verletzt zu sein, und Louisons Augen waren noch immer lebhaft. Carlton befürchtete, der junge Herzog könnte unter Schock stehen, aber Louison sah eher kräftig und aufgeregt aus.

Erst als Carlton sich vergewissert hatte, dass Louison geistig und körperlich gesund war, war er erleichtert. Fast stolpernd zog er den jungen Herzog in eine Umarmung. Er lehnte seine Stirn an die Schulter des jungen Herzogs und atmete langsam ein und aus.

Es fühlte sich an, als wäre er von einer Wolke geschleudert worden, gegen verschiedene Dinge geprallt und gerade noch so gerettet worden, bevor er auf dem Boden aufgeschlagen wäre. Die ganze Zeit, in der Carlton nach Louison gesucht hatte, hatte er Angst gehabt.

Sogar als er noch jung gewesen war – als er von zu Hause weggelaufen war und seine erste Zeit als Söldner begonnen hatte – hatte er nie Angst gezeigt. Dieser Mann war immer selbstbewusst gewesen. Er kannte die Bedeutung von Angst nicht. Er hatte nie an seinen eigenen Fähigkeiten gezweifelt und er betrachtete die Welt als eine Bühne, die dazu da war, ihn zu tragen.

Doch während er nach Louison gesucht hatte, war Carlton die ganze Zeit von Angst erfüllt gewesen. Ein bis dahin nie empfundenes Grauen – etwas, das er nicht einmal fühlte, wenn Dutzende von Klingen auf ihn gerichtet waren – beherrschte sein ganzes Wesen. Er hatte Angst gehabt, dass er Louison nie finden würde oder dass er zu spät kommen und den jungen Herzog verwundet vorfinden würde.

Carlton war überwältigt von diesem Gefühl gewesen. Er hatte ständig gezweifelt, ob er den jungen Herzog rechtzeitig finden würde oder ob er den richtigen Weg eingeschlagen hatte. Sein Kopf war voll mit schrecklichen Vorstellungen und sein Herz war voller Verzweiflung gewesen.

Auch Louison umarmte vorsichtig Carltons Schultern. Als der Söldner die langen, weißen Arme spürte, die ihn umschlangen, fühlte er endlich, dass sein Schützling sicher zu ihm zurückgekehrt war.

Carlton schloss die Augen und spürte die Körperwärme des jungen Herzogs. Mit jedem Atemzug nahm er Louisons Duft wahr, an den er sich noch nicht gewöhnt hatte. All diese Empfindungen zusammen gaben dem Söldner etwas Seelenfrieden. Die Angst, die ihn zuvor beherrscht hatte, löste sich schnell auf wie ein warmer Sommerregen.

So seltsam.

Dieser Mangel an Selbstvertrauen war so gar nicht seine Art. Er fühlte sich wie ein anderer Mensch – ein Fremder. Ratlos zog Carlton den jungen Herzog noch fester an sich.

Ich bin so, so erleichtert, dass du in Sicherheit bist.“ Wenn Louison etwas zugestoßen wäre, würde Carlton sich das für den Rest seines Lebens nicht verzeihen können. Der Moment, in dem er den Mann kurz verloren hatte, hatte ihm klar gemacht,... was es bedeutete, wenn Louison nicht an seiner Seite war.

Jetzt, da er wieder rational denken konnte, wurde Carlton klar, dass Morrison vielleicht gar nicht vorgehabt hatte, Louison zu verletzen. Das erleichterte den Söldner jedoch nicht. Morrison und seine Männer waren ihm nicht gewachsen, selbst wenn sie alle auf einmal auf ihn losgingen. Er war einfach nur von ihnen überrumpelt worden.

Selbst wenn der junge Herzog vielleicht enttäuscht über Carltons mangelnde Aufmerksamkeit in diesem Moment wäre, konnte man nichts daran ändern. Schließlich konnte Carlton es nicht ertragen, so erbärmlich zu sein. Dennoch wollte er nicht den enttäuschten Ausdruck auf Louisons Gesicht sehen, also umarmte der Söldner ihn noch fester. Er vergrub den Kopf noch tiefer an Louisons Schulter, der viel kleiner und dünner war als er. Ein leises Seufzen, voll von Scham, entwich ihm: „Von jetzt an werde ich dich nie mehr alleine lassen. Niemals.“

Ein tiefes Bedauern war in Carltons unterdrückter Stimme zu hören. Das ungewöhnlich niedergeschlagene Aussehen des Mannes verwirrte Louison innerlich. Was für eine düstere, melancholische Stimme. Der junge Herzog fühlte Mitleid mit dem normalerweise so selbstbewussten Mann, aber was konnte er sagen? Der Söldner schalt sich selbst für einen vermeintlichen Fehler. So sehr sorgte sich der Söldner um ihn und litt wegen ihm.

Louison öffnete den Mund, weil er den Mann beruhigen wollte: „Zuerst hatte ich ein bisschen Angst. Also habe ich dem Inquisitor jede Frage beantwortet. Inmitten all dessen dachte ich an dich.“

Du hast an mich gedacht?“

Ja. Dinge wie: 'Was hättest du an meiner Stelle getan?'“

„… Meine Methoden wären für meinen Herzog allerdings schwer nachzuahmen.“ Carlton würde alles zerstören, Morrison auf den Kopf schlagen und dann fliehen.

Louison brach bei Carltons Worten in Gelächter aus: „Nein, das nicht. Ich meinte deinen schnellen Verstand. Du bist der klügste Mensch, den ich je getroffen habe, also habe ich versucht, die Situation aus deiner Perspektive zu sehen.“

Ah…“

Dank dessen habe ich Morrisons Täuschung durchschaut. Deine Stimme hallte in meinem Kopf wider. Ich habe in unserer gemeinsamen Zeit viel von dir gelernt.“ Natürlich dachte Louison auch an den einarmigen Pilger, aber er schwieg zu diesem Thema, da er dachte, Carlton wäre eifersüchtig.

Deine Worte drangen tiefer in mein Gehirn als ich dachte. Ich war zwar alleine, aber es fühlte sich nicht so an, als wäre ich es.“ Beim Nachdenken fand Louison es so lustig, dass die Stimme des Söldners in seinem Kopf zu hören war, dass er schmunzelte.

Irgendwann während des Gesprächs hob Carlton den Kopf und sah dem jungen Herzog ins Gesicht.

Ich habe dir geholfen? Du hast in dieser Situation an mich gedacht?

Was für eine unerwartete Reaktion. Carlton hatte noch nie erlebt, dass sich jemand so sehr auf ihn verlassen hatte. Das Herz des Söldners war tief berührt. Wie konnte Louison Carltons Herz so leicht auf den Kopf stellen? Während der Söldner Louison ansah, der so entspannt lächelte, ging ihm das Herz auf.

Carlton küsste Louison impulsiv. Wie konnte dieser Mann ihn immer auf so unerwartete Weise beeindrucken? Louison war immer eine überraschende Person, und das machte ihn absolut liebenswert.

Louison riss die Augen weit auf, blinzelte ein paar Mal, bevor er sich in die Umarmung des anderen Mannes sinken ließ. Die runden Augen und langen Wimpern des jungen Herzogs erregten Carlton noch mehr. Als Carlton ihn tiefer küsste, runzelte Louison die Stirn – vielleicht war der Söldner zu stürmisch. Die Wangen des jungen Herzogs glühten feuerrot.

Carlton bemerkte all diese subtilen Veränderungen – jedes Erröten oder Zucken entging seinen aufmerksamen Augen nicht. Es gab nichts an ihm, das nicht hübsch schien. Das hastig geschnittene blonde Haar des jungen Herzogs, seine weichen Wangen, seine Augen, die sehr privilegiert aussahen – als hätten sie nie Härten erlebt – und doch auch tief nachdenklich wirkten … Alles.

Wie seltsam. Zuerst hatte der Söldner das Gesicht des jungen Herzogs nicht gemocht. Alles an Louison hatte Carltons Minderwertigkeitskomplex angestachelt,... aber jetzt fand der Söldner an den Zügen des jungen Herzogs Gefallen.

Ich mag es. Ich mag ihn, dachte Carlton fast unbewusst. Je mehr er darüber nachdachte, desto schneller schlug sein Herz und sein Kuss wurde intensiver. Der Söldner hatte das Verlangen, weiterzugehen – in den anderen einzudringen – und eins mit ihn zu werden. Carltons Hände strichen über Louisons Körper.

W-Warte!“, Louison schubste Carlton verlegen an der Schulter zurück, „Wir wissen nicht, wann Morrison zurückkommt. Es wäre nicht gut, hier weiterzumachen.“

Es ist mir egal, wenn dieser Kerl zurückkommt.“ Carlton wollte erneut die Lippen des jungen Herzogs in Besitz nehmen, doch Louison hielt ihn verzweifelt zurück.

Ich möchte das nicht neben diesen Foltergeräten machen.“

Ah.“ Carlton zog sich frustriert zurück.

Aber es ist kalt, rücke nicht zu weit von mir ab.“ Louison legte seinen Arm in die Armbeuge des Söldners.

Wie süß, dachte Carlton. Der junge Herzog schien sich zu schämen, sich an ihn zu klammern, obwohl er den ersten Schritt gemacht hatte. Die Augen des jungen Herzog sahen überall hin, nur nicht ihn an. Das mag ich auch.

Nur mögen...?

Wenn ich es mir recht überlege, was habe ich mir vorhin nur gedacht?, wurde Carlton gerade klar. Seit kurzem dachte er ständig darüber nach, wie sehr er den jungen Herzog mochte – wie sehr er Louison vergötterte.

Erst dann wurde ihm klar, dass er sich töricht verhielt, ganz anders als er selbst. Die Tatsache, dass er Louison für die wichtigste Person der Welt hielt – sein Hass auf den einarmigen Pilger oder Morrison. Seine Gefühle schwankten zwischen zwei Extremen.

Das hieß, er hatte sich in Louison verliebt. Das war das erste Mal für den Söldner.

Er hatte immer gesagt, dass diejenigen, die sich verlieben, zu Idioten werden … Er nahm daher nun an, dass er von jetzt an ein Idiot war!

Die plötzliche Erkenntnis stürzte Carltons Gedanken ins Chaos.


***


Louison und Carlton verließen die Folterkammer, die sich in einer scheinbar gewöhnlichen Hütte befand. Das Dach der Hütte schien kurz vor dem Einsturz zu stehen. Während sie auf die Rückkehr des Inquisitors warteten, setzten sich die beiden auf einen umgefallenen Baum in der Nähe.

Louison erzählte Carlton, was mit Morrison passiert war. Während seines gesamten Berichts starrte der Söldner den jungen Herzog leidenschaftlich an.

Was ist los? Bist du neugierig?“ Louison unterbrach sich und wandte sich seinem Begleiter zu. Carlton wich den neugierigen Blicken des jungen Herzogs aus, als hätte er ihn gar nicht angestarrt.

Warum verhält er sich plötzlich so?, dachte Louison.

Es fühlte sich an, als hätte sich der Söldner nach ihrem leidenschaftlichen Kuss verändert. Der Söldner wollte nicht einmal mehr Blickkontakt mit ihm aufnehmen. Trotzdem folgte er ihm hartnäckig und blieb an seiner Seite.

Louison überlegte ernsthaft, was mit Carlton nicht stimmte, – versuchte, die Sichtweise des Söldners zu verstehen. Doch er konnte nicht ganz einschätzen, ob dies alles nur ein reiner Zufall war oder ob er einfach noch nicht ausreichend in 'Carlton-ologie' bewandert war.






1 Kommentar:

  1. die sich verlieben sind idioten. oh weh dann is carl und die fast die ganze welt nur idioten drauf xd. jetzt kann er noch weniger von seinen luis weg kommen nun wo er erkannt hat das er sich verliebt hat. luis scheint noch ein wenig schüchtern zu sein. oh man ich halt es fast nicht mehr aus.

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