Kapitel 63


„Lass uns den Spuren folgen“, schlug Louison vor. Es war eine Sache, wenn sie vorbeigekommen wären, ohne dies zu entdecken. Jetzt, da die beiden glaubten, dass das Blut, das diese Fußabdrücke bedeckte, von der Frau des Wachhauptmanns stammte, musste der junge Herzog persönlich nachsehen, ob sie noch am Leben war oder nicht. Wie sonst könnte er dem Wachhauptmann später gegenübertreten?

„Ich glaube, es wäre das Beste, nach Confosse zurückzukehren. Wir haben bereits genug getan, um seine Bitte zu erfüllen.“ Carlton hielt es für Zeitverschwendung, hier zu bleiben. Die Suche konnte von den Dorfbewohnern durchgeführt werden. Das Ergebnis würde sich wahrscheinlich nicht ändern, selbst wenn sie ihre Kräfte bündelten.

„Findest du es nicht merkwürdig, dass nur die Frau des Wachhauptmanns weggebracht wurde?“

„Wir können nicht wissen, was der Tausendfüßler vorhatte. Außerdem wissen wir nicht, ob wir die Frau des Wachhauptmanns finden, wenn wir diesen Spuren folgen.“

„…Aber was ist, wenn sie noch lebt? Wir sollten sie so schnell wie möglich retten.“

„Dann werden sich die Dorfbewohner und der Wachhauptmann darum kümmern. Wir haben keine Zeit, uns in die Angelegenheiten anderer einzumischen.“

Wie Carlton sagte, konnten sie es sich nicht leisten, sich einzumischen. Doch Louison konnte jetzt nicht so tun, als wüsste er nichts. Der Wachhauptmann, der sich um seine Frau sorgte und auf die Geburt seines Kindes wartete. Der Dorfvorsteher, der allein in der Küche geweint hatte, als er von Annas Verschwinden gehört hatte. Die Dorfbewohner, die über den Tod des Tausendfüßlers außer sich vor Freude gewesen waren. Louison hatte sie jetzt kennengelernt.

Nun, da er sie kannte, konnte er nicht einfach sorglos und gleichgültig weiterziehen. Selbst wenn er diesen Ort verließ und weit weg reiste, würden ihn die Sorgen um das Dorf nicht loslassen, wie eine Last auf den Schultern, die ihn ständig an die Notlage des Dorfes erinnerte.

Zeit. Wenn Zeit ein Problem war, gab es keine andere Möglichkeit, das Problem zu lösen?

Louison grübelte und kam auf eine Idee: „Lass uns den Dorfvorsteher bitten, die Nachricht an den Wachhauptmann weiterzuleiten. Dann müssen wir nicht nach Confosse zurückkehren und hätten etwas mehr Spielraum. Hm?“

„Warum machst du dir solche Umstände?“

„Es fühlt sich gefährlich an. Ich glaube nicht, dass wir diese Dorfbewohner einfach im Stich lassen sollten – diese Menschen haben nicht die Kraft, sich selbst zu schützen.“

Carlton dachte darüber nach. Egal, was der junge Herzog sagte, er hielt die Sache immer noch für sinnlos.

Wenn ich jetzt nein sage, würde er mir gehorchen, aber… Er wäre enttäuscht von mir.

Er würde als das kaltherzige Biest dastehen, das den Bedürftigen den Rücken kehrte und nur an sich dachte.

Obwohl Carlton tatsächlich so ein Mensch war, wollte er Louison gegenüber nicht so erscheinen.

Außerdem hatte Louisons Argument einen gewissen Wert. Wie er gesagt hatte, könnten sie jemanden nach Confosse schicken, wodurch sie etwa einen halben Tag sparen würden. Dann wäre es keine allzu große Zeitverschwendung, an der Suche teilzunehmen. Selbst wenn sie dem Wachhauptmann die Nachricht nicht persönlich überbringen könnten, würden sie sein Vertrauen gewinnen, indem sie nach seiner Frau suchten.

„…Gut. Allerdings haben wir nur einen halben Tag Zeit. Wenn diese Zeit verstrichen und nichts passiert ist, dann müssen wir gehen.“

„Natürlich! Dann werde ich auch nicht stur sein!“ Mit Carltons Erlaubnis erklärte Louison den Dorfbewohnern, dass sie beschlossen hatten, den Fußspuren des Tausendfüßlers zu folgen. Einige kräftige junge Männer aus dem Dorf boten sich an, den jungen Herzog zu begleiten.

Obwohl viel Zeit vergangen war, waren die Fußspuren des Tausendfüßlers noch immer intakt. Zum Glück hatte es nicht geregnet und das Wetter war die ganze Zeit über trocken geblieben. Als sie die Spuren entlanggingen, erreichten die beiden einen großen Felsen – denselben Felsen, den man vom Dorf aus sehen konnte.

Ein großes, offenes Gelände umgab den Felsen. Die Spuren wurden durch dicke Laubschichten unterbrochen.

„Also muss er hierher gekommen sein …“ Louison verschränkte die Arme vor der Brust und sah sich um. Dort drüben war ein Felsen und hier war eine offene Fläche. Wo war der Tausendfüßler bloß hin gegangen? Er konnte sich das nicht erklären und sah zu Carlton.

„Gäbe es eine Höhle des Tausendfüßlers, wäre sie dort drüben.“ Carlton zeigte auf den großen Felsen.

„Da drüben?“

„Tausendfüßler halten sich am liebsten unter Steinen auf – an dunklen und engen Orten.“

„Hast du schon einmal Monster gesehen, die wie Tausendfüßler aussehen?“

„Nein. Aber Monster verhalten sich oft wie die Tiere, denen sie ähneln. Spinnenmonster spinnen Netze, Ameisenmonster drängen sich zusammen und schwärmen aus.“

„Mm…“ Louison wollte das wirklich nicht wissen. Eine Spinne oder eine Ameise von der Größe eines Kindes? Pfui. Allein die Vorstellung war grauenhaft und haarsträubend. Louison strich sich automatisch über die Arme.

Carlton näherte sich dem riesigen Felsen. Als er die um ihn herum aufgehäuften Blätter beiseite schob, erschien eine schmale Lücke zwischen dem Felsen und dem Boden. Auf den ersten Blick sah es so aus, als wäre die Lücke auf natürliche Weise entstanden.

„Das muss der Eingang zur Höhle des Tausendfüßlers sein.“

„Das hier? Ist das nicht nur ein Spalt im Boden? Ist er nicht zu klein für einen Tausendfüßler von dieser Größe?“

„Von hier aus mag es so aussehen, aber darunter ist es vermutlich recht geräumig. Der Boden ist weiche Erde, und für das Monster wäre es nicht schwer, sich hier ein Nest zu graben.“ Mit diesen Worten warf Carlton einen kleinen Stein in die Öffnung. Das Echo des rollenden Steins dauerte lange an. Er hatte recht – entgegen dem äußeren Erscheinungsbild musste die Höhle tief und breit sein.

Louison nickte. Carltons Logik war noch nie falsch gewesen. Der junge Herzog hielt es für das Beste, auf kluge Leute zu hören.

„Ich werde hineingehen müssen.“ Carlton zögerte – er überlegte, ob er den jungen Herzog in so etwas wie die Höhle eines Tausendfüßlers mitnehmen könnte. Doch das Monster war tot. Dem jungen Herzog drohte kaum Gefahr. Und er war besorgt, dass Louison außerhalb der Höhle etwas zustoßen könnte. So ließ Carlton Louison seinem Umhang festhalten und führte ihn in die Tiefe.

Carlton ging voran, gefolgt von Louison und den jungen Dorfbewohnern. Wie der Söldner gesagt hatte, war es nach dem schmalen Eingang weit genug, um bequem stehen und laufen zu können. Doch der Weg führte so tief hinab, dass man schwer sagen konnte, wo das Ende war.

Mit Fackeln in der Hand, ging die Gruppe vorsichtig weiter. So schritten sie lange Zeit voran. Der Weg neigte sich leicht nach unten, sodass es sich anfühlte, als gingen sie in eine dunkle Grube. Je weiter sie hinabstiegen, desto stärker wurde der unangenehme Geruch. Es musste eine Mischung aus Blut, verwesendem Gras und dem natürlichen Geruch des Tausendfüßlers sein. Zudem waren die Wände überall mit den Fußspuren des Tausendfüßlers übersät.

Es ist definitiv die Höhle eines Tausendfüßlers, aber …

Egal wie weit sie gingen, nichts erschien. Als der lange Gang sich endlos weiterzog, war Louisons anfängliche Anspannung verschwunden. Jetzt überkam den jungen Herzog eine müde Langeweile. Plötzlich änderte sich die Umgebung: Die Decke war angehoben und die Seitenwände weit geöffnet. Sie kamen aus einem Gang in einen Raum. Endlich hatten sie das Ende der Höhle erreicht.

Als er die Schwelle überschritt, hielt Carlton inne.

Louison, der gedankenverloren folgte, stieß sich die Stirn an dessen Rücken.

„Was ist denn?“

„Da liegt etwas vor uns.“

„Was liegt vor uns?“ Auch wenn Louison gespannt nach vorne blickte, waren seine Augen die Dunkelheit nicht gewohnt, und konnten kaum etwas erkennen.

„Es ist auf dem Boden.“

Bei Carltons Worten trat einer der jungen Dorfbewohner vor und leuchtete mit der Fackel umher. 'Es' erschien im Licht.

Ein Fuß. Ein menschlicher Fuß.

Frauen. Drei Frauen lagen nebeneinander auf dem Boden. Alle waren hochschwanger und sahen sich in Körperbau und Alter ähnlich.

Es sah aus, als hätte das Monster diese schwangeren Frauen absichtlich zusammengebracht und sie nebeneinander platziert. Sie waren verblüfft über die unerwartete Entdeckung.

Hatte der Tausendfüßler das getan?

„Welche von ihnen ist die Frau des Wachhauptmanns?“, Carlton durchbrach die Stille.

Ein junger Dorfbewohner, der durch die Frage des Söldners wieder zu sich kam, betrachtete die Frauen eingehend.

„Hier! Diese Person ist Anna.“

Eine der drei Frauen war tatsächlich die vermisste Frau des Wachhauptmanns. Laut einem der jungen Dorfbewohner waren die anderen Frauen ebenfalls aus Nachbardörfern am Waldrand verschwunden. Äußerlich sahen die Frauen wohlauf aus. Sie mussten zwar schon eine Weile hier festgehalten worden sein, doch sie wirkten weder schwach noch ausgemergelt.

Daraufhin fassten die jungen Dorfbewohner allen Mut und untersuchten sie genauer.

„Sie atmen! Ihre Herzen schlagen noch… ich glaube, sie sind in Ordnung.“

Auf den ersten Blick schienen die Frauen in tiefem Schlaf gefangen zu sein.

Puh! Louison war unglaublich erleichtert. Es war gut, den Fußspuren des Tausendfüßlers zu folgen. Sonst hätten wir diese Höhle und diese Frauen nicht gefunden.

„Lasst uns sie schnell nach draußen bringen. Jeder nimmt eine der Frauen auf den Arm, um sie hinauszutragen,“ sagte der junge Herzog.

In der Höhle gab es nichts, das sich als Trage nutzen ließ. Es würde zu lange dauern, nach oben zu gehen und eine zu holen. Am besten trug jeder der jungen, kräftigen Dorfbewohner eine der Frauen auf seinen Armen.

Während die Dorfbewohner sich um die Frauen kümmerten, sahen sich Louison und Carlton im Raum um, ob noch etwas anderes zu finden war.

Der junge Herzog tastete im Dunkeln herum und stieß dabei versehentlich mit der Fackel an die Wand. „Nngh.“

Er hatte gedacht, die Wand sei einfach uneben – doch es war eine riesige Büste.

Diese Büste sah äußerst seltsam aus. Sie hatte die Form einer Ziege mit vier Hörnern und drei Augen. Der Oberkörper ragte aus der Wand heraus und blickte herab, als würde er die drei Frauen beobachten.

Unterhalb der Büste befand sich eine steinerne Plattform. Sie war nicht groß, doch sie war mit weichem Stoff bedeckt. Auf beiden Seiten standen goldene Kerzenleuchter, und dazwischen befand sich ein Räuchergefäß.

„Ist das ein Altar?“

Die Form und Anordnung ähnelten stark den Altären in Kirchen. Die einzigen Unterschiede lagen in den Verzierungselementen: goldene Kerzenleuchter statt silberner, Tierknochen statt Blumen.

Auf dem Altar lag eine goldene Platte. Wenn man an Altäre in Kirchen dachte, war das jener Platz, der den heiligen Reliquien vorbehalten war. Doch als Louison das Objekt auf der Platte genauer betrachtete, stellte er fest, dass es ein kleines Messer aus Knochen war. Im Schein der Fackel konnte er die Einzelheiten schwer erkennen, doch das Messer war stumpf, und seine Gravuren und Verzierungen sahen schlicht aus.

Noch einmal warf Louison einen Blick auf den Altar und die Büste. „Das hier ist… seltsam,… sehr seltsam.“

Alles hier wirkte einfach zu unnatürlich und unlogisch. Warum gab es einen Altar in der Höhle eines Tausendfüßlers? Was sollte diese Büste bedeuten?

Der riesige Tausendfüßler hatte nur schwangere Frauen ausgesucht und sie lebendig in seiner Höhle gehalten. Manchmal legten Monster zwar Vorräte an, aber diese Frauen schienen nicht als Nahrung aufbewahrt worden zu sein. Sie waren so ordentlich hingelegt worden – als würden sie der Büste dargeboten.

Welches Monster würde so etwas tun? Monster fraßen, zerstörten und vermehrten sich – das waren ihre Instinkte. Sie wurden Monster genannt, weil sie diesen Instinkten blind folgen.

Der junge Herzog war sich sicher, dass hier eine menschliche Hand das Werk des Tausendfüßlers gelenkt hatte. Goldene Kerzenhalter und Altäre – solche Dinge konnten nur von einem Menschen hergebracht worden sein.

Jemand hat also den Tausendfüßler dazu gebracht, diese Frauen zu holen?

Ein Mensch, der mit Monstern spielte, als wären sie Instrumente.

Louison kannte jemanden sehr gut, der dazu fähig wäre.





2 Kommentare:

  1. sie folgen den spuren und carl findet sogar den eingan des nestes. aber was ist das da sind sogar drei frauen und alle schwanger und scheinen zu schlafen. ist das schön sie leben noch und man bringt sie raus. ein altar wo man opfer bringt. der was monster benutzt das kann ja nur ruger sein oder ist es doch wer anderes aber was haben sie vor.

    AntwortenLöschen
  2. Ich hatte mit diesem Fund absolut nicht gerechnet. Drei schwangere Frauen, ein Altar der nichts Gutes verheißt. Aber man hat ja eine Ahnung wer dahintersteckt. Nur was ist der Sinn hinter dem Ganzen...

    AntwortenLöschen