Louison breitete die Karte aus, um sich die Umgebung anzusehen. Der Eingang zum Wald lag nicht weit vom Nordtor des Schlosses entfernt. Er fuhr mit dem Finger die Straße entlang, die von dort aus weiterführte.
„Hier führt der linke Weg nach Doublet?“
„Ja, mein Herr, das ist richtig."
Louison deutete auf einige Ausläufer des Vorgebirges direkt gegenüber von der Grafschaft Doublet, auf der rechten Seite des Waldes.
„Und hier lagern Carltons Truppen?“
„Ja mein Herr, das ist richtig. Da geht es zum Lagereingang, gegenüber von unserem Weg. Wir können sicher entkommen, ohne in die Kämpfe verwickelt zu werden.“
„Du sagst also, es ist auf der rechten Seite …“
„Nein, nein, die linke Seite. Wir müssen nach links, verstanden?“
Ruger sah Louison mit mitleidigem Blick an, als wäre er verwirrt.
Hält er mich für einen Idioten?
Tränen stiegen ihm in die Augen, aber er blieb ruhig. Es gab im Moment Wichtigeres.
Es ist besser für Ruger, wenn er denkt, mich manipulieren zu können.
„Lass uns gehen.“
„Ja! Du hast eine weise Wahl getroffen! Ausgezeichnete Entscheidung! Wie von meinem Herzog erwartet. So mutig und entschlossen!“
Rugers Gesichtsausdruck hellte sich auf. Er reichte Louison vergnügt eine schwarze Robe und überhäufte ihn mit Schmeicheleien. Louison runzelte die Stirn. Früher hatte er solche Schmeicheleien genossen, aber jetzt fühlten sie sich falsch an.
Was sollen diese unaufrichtigen Schleimereien?
Er konnte nicht glauben, dass er früher mit solchen Schmeicheleien beruhigt worden war.
Wie dumm war ich in der Vergangenheit.
„Hör auf, wir müssen los“, stoppte er Rugers Schmeicheleien.
Louison rollte die Karte fest zusammen.
„Äh? Ich kann die Karte halten, mein Herr…“, bot Ruger an.
„Schon gut. Ich übernehme im Wald die Führung. Folge mir einfach.“
Ruger schien verwirrt – es war natürlich, dass der Adjutant mit der Karte führte und der Herr folgte. Er wunderte sich nicht weiter darüber… Louison war von Natur aus ein launischer Mann, und Ruger dachte, sein Herr sei zu durchschaubar, um irgendwelche Pläne zu hegen. Es wäre ihm nie in den Sinn gekommen, dass es einen anderen Plan geben könnte, als zum Grafen Doublet zu gehen.
„Bei dem Grafen werden wir in Sicherheit sein. Dorthin wird Carlton uns nicht folgen!“
Ruger ging freudig lachend voran. Selbst wenn Louison im Wald die Führung übernahm, musste Ruger sie zu dem Ort führen, an dem die Pferde und das Geld versteckt waren.
Als Louison auf seinen unbeschwerten Adjutant blickte, dachte er bei sich: Es tut mir leid, dass ich dich anlüge, Ruger. Aber dieses Mal wirst du nicht meinetwegen sterben.
Natürlich hatte Louison nicht die Absicht, zur Grafschaft Doublet zu gehen. Er war zwar nicht schlau, aber auch nicht dumm genug, einen offensichtlich höllischen Weg einzuschlagen.
Sobald sie aus dem Burgtor geschlichen waren, erstreckte sich vor ihnen der Eingang zum Wald. Nachts erschien der Wald wie ein riesiges Ungeheuer, während eine pechschwarze Dunkelheit sie umhüllte. Von hinten hörte man die Geräusche der Schlacht, von vorne zirpten Grillen. Inmitten all dessen lastete eine seltsame Stille auf Louisons Schultern.
Es war allgemein bekannt, dass der Wald nachts gefährlich war. Aufgrund seines gesunden Menschenverstands hatte Louison dennoch Angst. Er war viele Male in den Wald gegangen, um nach Nahrung zu suchen, nachdem er aus den Städten vertrieben worden war.
Jeder Besuch war eine Todeskrise gewesen. Wie unruhig die wilden Tiere waren … und wie zahlreich die Monster … Auch die Fallen, die aufgestellt worden waren, um sie zu jagen, waren unglaublich gefährlich. Einmal hatte er fast seinen Knöchel verloren, als er in eine dieser Fallen geraten war. Er hatte sogar Giftpilze gegessen, als er blind vor Hunger gewesen war.
Es war bewundernswert, dass er überhaupt überlebt hatte.
Schon als Kind hatte man ihm eingeschärft, auf seinen schwachen Körper zu achten, aber vielleicht war er tatsächlich unerwartet zäh.
Gruselig… Louison versuchte, sich mit belanglosen Gedanken zu entspannen, aber es funktionierte nicht. Die endlose Dunkelheit selbst war ein Wesen, die die Menschen überwältigte.
Es fühlt sich an, als würde mein Todesritter bald eintreffen …
Der Legende zufolge trieb sich tief im Wald, wo kein Mondlicht hindurchdrang, ein einsamer kopfloser Ritter herum. Einst war er der ehrenhafteste Ritter gewesen, jedoch war er korrumpiert und verdorben worden. Er hatte seinen Meister verraten, das heilige Rittergelübde gebrochen und war zum Tode verurteilt worden. An den Mauern der Burg war er aufgehängt und danach tief im Wald entsorgt worden. Nun sollte er die Seelen der Schuldigen ernten, die im Wald umherwanderten.
Als Louison während seiner Wanderschaft im Wald etwas Ruhe hatte finden wollen, hatte er in seinen Wahnvorstellungen das donnernde Geräusch von Pferdehufen gehört. Aus den Augenwinkeln, aus der Dunkelheit heraus, war ihm der Todesritter erschienen – ein Gesandter des Himmels, um ihn zu bestrafen.
Es war ihm nicht gestattet gewesen, sich auszuruhen.
Man sagt, wenn man gefangen wird, würde der Körper zerrissen und auf Feldern und Wiesen verstreut werden. Die Seele würde weggesperrt und für immer gequält werden. Wie ein heimtückischer Schatten saß der Ritter in der Dunkelheit und flüsterte Louison zu: „Lauf weg, lauf weit, weit weg.“
Louisons Mund war trocken vor Angst. Obwohl er diese Wahnvorstellungen nicht mehr sah, hatte er immer noch das Gefühl, dass ihn jemand aus dem Verborgenen beobachtete. Der Wind, der seinen Nacken streichelte, war kalt wie eine Klinge.
Nein, nein, nein. Der legendäre Ritter kann auf dieser Welt unmöglich existieren.
Natürlich war der Todesritter nur ein fiktives Wesen. Der Ritter, der Louison beharrlich verfolgte, war nur eine der vielen Wahnvorstellungen, die Louisons Bewusstsein geschaffen hatte. Nachdem er den Heiligen getroffen und sich seinen eigenen Fehlern gestellt hatte, schien der Ritter verschwunden zu sein.
Als Louison zurückblickte, sah er nur Rugers ausdrucksloses Gesicht. Sie waren zu Zweit, er und Ruger …
Das stimmt. Es ist nur eine Illusion.
Louison schüttelte seine Angst ab und ging mit Ruger schweigend weiter. Je tiefer sie kamen, desto schmaler wurde der Weg, und das Dickicht der Pflanzenwelt reichte ihnen bis zu den Knien. Die jahrhundertealten Bäume standen dicht zusammen, und die Lücken zwischen den Stämmen waren von Dunkelheit erfüllt. Die Baumkronen verbargen die beiden vor dem sanften Mondlicht.
Ah, ich glaube, da ist etwas vor mir.
Louison ging Schritt für Schritt weiter, obwohl er das Gefühl hatte, den Tränen nahe zu sein. Die Lampe, die er in der Hand hielt, reichte aus, um die unmittelbare Umgebung vor seinen Füßen zu sehen, aber die Flamme war zu klein und schwach, um den Wald bei Nacht zu erhellen. Ein plötzlicher Wind ließ das Laub zittern. Louison zog vor Angst die Schultern hoch.
Ich habe Todesangst.
Louison kam stetig voran, aber was ihm Angst machte, war unbestreitbar die Dunkelheit, sowie die Stille. Er warf Ruger einen Blick zu – dieser folgte ihm schweigend und ohne ein Wort. Es wäre viel weniger furchteinflößend, wenn die Stille durch seine üblichen albernen Gespräche durchbrochen werden würde.
„Mein Herzog?“
„Hä? Ä-äh, ja?"
„Bist du sicher, dass wir auf dem richtigen Weg sind?“
„Ja, wir sind da, wo wir sein sollen.“
Louison wich Rugers eigentlicher Frage aus. Es war ja nicht so, als ob sein Adjutant ursprünglich aus Anness stammen würde. Er war in der Hauptstadt geboren und aufgewachsen, bis er Louison hierher gefolgt war. Woher sollte er die umliegende Geografie gut kennen?
Ruger blieb plötzlich stehen und sagte:„Warum lügt mein Herr?“
Bei seinen unerwarteten Worten fühlte Louison sich, als würde ihm das Herz in die Hose rutschen. Dieser scharfsinnige Mistkerl! Er war immer tollpatschig, wenn Louison ihn brauchte, aber in solchen Momenten war er scharfsinnig! Ruger sah Louison mit eisigem Gesichtsausdruck an, … so sehr, dass Louison sich fragte, ob dies derselbe Adjutant war, der albern gelacht und ihn angefleht hatte, wegzulaufen.
„Du gehst in die entgegengesetzte Richtung.“
„N-nein, mache ich nicht“, stotterte Louison.
Verdammt.
Er beklagte seine grauenhaften schauspielerischen Fähigkeiten und seine nicht vorhandene Schlagfertigkeit.
„Wie erwartet“, sagte Ruger, „Ich dachte, da stimmt was nicht. Mein feiger Herzog wollte mit einer Karte und einer Lampe vorangehen? Der Weg war so holprig, und trotzdem hast du dich kein einziges Mal beschwert? Mein Herr hat definitiv einen anderen Plan.“
„Das ist…“
„Warum sind wir auf dem Weg zu Carltons Militärlager? Willst du sterben?“
„Wir sterben nicht! Warum sollte ich sterben?“
„Was machst du dann? Wirst du dich ergeben und um dein Leben betteln?“
„……“
Louisons Schweigen bestätigte alles, was gesagt wurde.
„Ist das dein Ernst? Bist du verrückt geworden?“ Ruger konnte nicht glauben, was er hörte.
Ja … ich glaube, ich wirke verrückt. Es sieht so aus, als würde ich meinen eigenen Kopf in das Maul des Löwen stecken.
„Verrückt. Absolut verrückt. Kein Wunder, dass du so gehorsam warst und gegangen bist. Verdammt!.“
„Es tut mir leid, dass ich dich getäuscht habe, … aber keine Sorge. Ich habe eine Idee.“
„Mein Herzog hat sich etwas ausgedacht? Du hast bisher ohne nachzudenken gelebt!“
… Das ist ein bisschen zu viel.
Es war eine respektlose Bemerkung, aber Louison konnte sie nicht widerlegen. Ruger war jemand, der in seiner Taugenichts-Zeit immer an seiner Seite gewesen war. Außerdem war Ruger es, der gestorben war, als er Louison bei der Flucht geholfen hatte … Er war nicht in der Position, Ruger anzuschreien.
„Es ist in Ordnung. Es ist meine Schuld, dass ich meinen Herrn führen ließ. Lass uns jetzt wenigstens umkehren.“
„Nein, ich muss Carlton treffen. Wenn du nach Doublet willst, gebe ich dir die Karte. Du kannst alleine gehen.“
„Das kann ich nicht! Wie könnte ich meinen Herzog im Stich lassen, um in Sicherheit zu sein? Du musst mit mir gehen.“
„Du kannst alleine gehen.“
Rugers Loyalität war deutlich zu erkennen, doch Louison blieb standhaft.
„Ich werde meinen Herrn zwingen, mit mir zu kommen, wenn es darauf ankommt.“
Ruger näherte sich, die Faust geballt. Er war bereit, körperliche Gewalt anzuwenden, wenn sein Herr nicht hörte.
„Hey! Das ist Rebellion!“ Louison trat zurück.
„Es lässt sich nicht ändern. Wenn ich dich nicht in die Grafschaft von Doublet zurückbringe, werde ich sowieso sterben.“
„Reiß dich zusammen! Hab nicht zu viel Angst … Vertrau mir einfach.“
Es schien, als sei Überredung unmöglich. Louison traf eine blitzschnelle Entscheidung und warf Ruger die Karte, sowie die Lampe in die Arme. Als Ruger angesichts des neuen Gewichts ins Wanken geriet, drehte sich Louison um und rannte los.
Es tut mir leid!
ja ein wald im dunkeln kann einen zu fürchen bringen und man hört vielle sachen was gar nich da ist. sein diener hat es herraus bekommen was er vor hat und will in aufhalten. sowas nenne ich tapfer das er gegen seinen herrn geht. was wird nun geschehen .
AntwortenLöschenRuger also, ich frage mich, was er für eine Persönlichkeit ist und wie er zu unserem neuen Louison steht.
AntwortenLöschenHier im Wald passiert also weit aus mehr als im Manhwa. So was finde ich dann immer besonders toll, wenn man auch neue unbekannte Szenen lesen kann und so mehr von seinen Lieblingscharakteren hat.