„Danke. Vielen herzlichen Dank. Ich werde diesen Gefallen eines Tages erwidern“, sagte Louison.
„Wir drehen nur eine Runde durchs Dorf.“
„Ja. Das ist in Ordnung. Mehr kann ich mir nicht wünschen.“
Carlton hatte Louison wieder in den Sattel gesetzt und sein Pferd angespornt. Louison klammerte sich an Carlton fest – seine Angst war der Entschlossenheit gewichen.
Warum habe ich dem zugestimmt?, dachte Carlton.
Er konnte spüren, wie die Anspannung von Louisons Körper auf seinen überging. Das Zittern des Herzogs hätte Carlton leicht auf die Nerven gehen können, aber das Gefühl seines Körpers beruhigte seine Sinne.
Für Louison, dessen Körper an Carltons Rücken gepresst war, war der Ritter, vor dem er so große Angst gehabt hatte, vorübergehend nicht mehr seine größte Sorge.
Die Lage des Dorfes war zu ernst.
Die Menschen, die auf die Straßen gegangen waren, befanden sich in einem besseren Zustand – sie hatten zumindest noch die Energie, sich zu bewegen und zu schreien. Die restlichen Dorfbewohner schienen einfach nicht die Kraft zu haben, ihre Häuser zu verlassen. So waren viele Straßen leer, und alle normalen Aktivitäten hatten aufgehört. Ohne Wissen, wann diese Krise vorübergehen würde, waren die Dorfbewohner von endloser Angst erfasst.
In einer Ecke des Dorfes lebten Menschen, die aus ihren Häusern geflohen waren um in der Umgebung des Schlosses Sicherheit zu finden: Bauern und die Familien der eingezogenen Soldaten lebten dort in provisorischen Zelten. Die kalte Jahreszeit hatte noch nicht richtig begonnen, aber das Wetter war den Obdachlosen in diesen ärmlichen Unterkünften nicht wohlgesonnen. Müde und krank konnten sie Louison nur mit den Augen folgen, als er vorbeikam.
In ihren trägen Augen konnte er Hunger und tiefes Elend erkennen.
Es war ein Schmerz, den Louison gut kannte.
Das Hungern macht einen zuerst hungrig. Dann verkrampfen sich die Eingeweide vor Schmerzen und das Gehirn ist nur noch mit Gedanken an Essen gefüllt. Nur die tierischen Instinkte bleiben übrig.
Faules Obst, schimmeliges Brot, matschige Graswurzeln …
Um zu essen, um den Magen zu füllen, trieb der Hunger einen dazu, die Übelkeit zu ignorieren und alles, was man greifen konnte, in den Mund zu stopfen. Man würde alles tun für einen Krümel – harte Arbeit, Betteln, Stehlen, sogar Prostitution.
Und dann, wenn der Hunger vorübergehend gestillt war und man wieder zu sich kam, war man entsetzt über sein Verhalten. Das eigene Ego schrie vor Elend und Ekel. Und doch, selbst wenn der Stolz zerbrach, schmeckte das Essen – erbärmliche Bissen– so süß.
Louison hatte Mitgefühl mit den Dorfbewohnern und ihrer Angst.
Er stöhnte.
Warum konnte ich nicht im Dorf vorbeischauen, bevor die Situation so ernst geworden ist? Warum habe ich die Zeichen nicht bemerkt, als ich durchritt? Ich kann nicht glauben, dass ich mich selbst dafür gelobt habe, ein guter Herr zu sein, während sich solches Leid direkt vor meiner Nase zusammenbraute.
Ein Gefühl der Scham erfüllte ihn.
„… Lass uns einfach zum Schloss zurückkehren“, sagte Louison mit bewegter Stimme. Sein Herz würde das Elend der Dorfbewohner mit sich tragen.
Carlton ritt schweigend auf dem Pferd zurück zum Schloss.
***
Im Schloss angekommen, steuerte Louison direkt auf das Zimmer des Generals zu. Es gab niemanden, der sich besser auskannte als er, der Stellvertreter des Lords.
„General!“
Ein verzweifelter Louison stürmte in den Raum. Die Augen des Generals weiteten sich bei Louisons Erscheinen – wo war die fürstliche Gestalt geblieben, die von Minnesängern besungen wurde? Er war sauber gewesen, als er gegangen war, aber hier waren seine Kleider zerrissen, als hätte er sich im Unterholz gewälzt.
„Was ist passiert? Was ist mit der Schlacht?“
„…Es gab keine Schlacht. Ich bin zurückgeblieben und wurde mitten im Dorf von den Dorfbewohnern aufgehalten.“
„Gab es einen Aufruhr?“
„Ja.“
Der General war sehr überrascht. Er wusste, dass sein Herr beim Reiten Probleme haben würde, glaubte aber nicht, dass Louison es nicht einmal schaffen würde, auf dieser einfachen Strecke die Außenbezirke des Schlosses zu verlassen. Auch ohne weitere Erklärung konnte sich der General die chaotische Situation vorstellen. Ein Herr, der mitten in einer Horde hungriger Bürger auftauchte. Es war offensichtlich, dass etwas Schlimmes passiert sein musste.
„Und was ist mit Ruger? Was hat er sonst gemacht, wenn nicht Sie zu beschützen?!“, fragte der General. Ruger hatte eigens Kampfkunst erlernt, um Louison als sein Adjutant sicher zu begleiten.
„Es war zu chaotisch. Aber was noch wichtiger ist: Sie scheinen über die Lage in dem Dorf Bescheid gewusst zu haben?“
„Ich habe so etwas erwartet,...aber ich hätte nicht gedacht, dass Sie es nicht einmal durch die Tore schaffen würden…“
„Nein, davon rede ich nicht!“, rief Louison in einem Wutanfall. „Warum haben Sie mir nicht gesagt, dass alle Dorfbewohner am verhungern sind? Wollen Sie mir sagen, dass Sie ihre Pflicht vernachlässigt haben, während die Menschen um ihr überleben kämpften?!“
Der General runzelte die Stirn und riss die Augen weit auf. „Erzählen Sie mir nicht … Sie hatten keine Ahnung vom aktuellen Zustand des Dorfes?“, fragte er, als könne er Louisons Worte nicht verstehen.
„Was?“
„Um den zweiten Prinzen finanziell zu unterstützen, hatte ich Ihnen berichtet, dass wir das nahegelegene Dorf und die Lagerhäuser beschlagnahmen müssen. Anschließend würden die Rationen an die Bevölkerung verteilt. Ich bin sicher, dass ich Ihre Zustimmung dazu habe.“ Der General war ein gründlicher Mann. Er war nicht die Sorte Mensch, der ohne Zustimmung des Lords drastische Maßnahmen ergriff.
Louison hatte das wirklich völlig vergessen.
Er war unbeholfen, wenn es um Papierkram ging.
Seit seinem sechsten Lebensjahr hatte Louison lediglich die Papiere unterzeichnet, die der General ihm vorgelegt hatte. Hektisch hatte er unzählige Dokumente und Briefe unterschrieben, und seine Augen waren angesichts der erschreckenden Menge an Arbeit müde geworden. Der junge Lord hatte nie alle Papiere vollständig gelesen gehabt.
Außerdem lag dieser Papierkram für Louison schon Jahre zurück. Der Schock über brennende Felder und den allgegenwärtigen Tod genügte, um für ihn 'unbedeutende Dinge' vergessen zu lassen.
Doch das waren inzwischen armselige Entschuldigungen – vor allem angesichts des Schmerzes und Leidens der Dorfbewohner.
Louison empfand tiefe Scham. Tränen stiegen ihm in die Augen.
„…Haben Sie es wirklich vergessen? Wie konnten Sie …? Habe ich ihnen diese Einzelheiten nicht persönlich erklärt?“ Der General war ebenso verblüfft. Louison hatte diesen Vorschlag eigenhändig unterschrieben – nicht vor längerer Zeit, sondern erst vor ein paar Monaten. Der General hätte nie gedacht, dass der Lord es vergessen würde. Er war davon ausgegangen, dass Louison von der Notlage des Dorfes wusste, aber aufgrund von Carltons Einmischung nichts tun konnte.
Daher hatte der General alle Informationen über das Dorf unter Verschluss gehalten und im Geheimen über Methoden zu ihrer Rettung nachgedacht.
„Haah…“, brachte der General seine Enttäuschung deutlich zum Ausdruck.
„Habe ich Ihnen nicht schon oft gesagt … Vergesst nicht, dass Ihr der Herr dieser goldenen Felder seid.“
„…Und der wahre Schatz dieses Königreichs sind diese goldenen Felder. Und die Anness, die diesen Ort regieren, sind eine ehrenhafte Familie, also muss ich entsprechend handeln, um dieses Land zu schützen. Ich weiß es, General.“
Louison hatte diese Worte seit seiner Jugend oft aus dem Mund des Generals gehört.
Doch es schien, als hätte Louison diese Botschaft weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart jemals vollständig verkörpert.
Louison war zu gequält und verzweifelt, um still zu sitzen. Der Blick des Generals durchbohrte ihn wie viele kleine Nadeln. Er sprang von seinem Sitz auf und ging im Zimmer auf und ab, bis er vor einem offenen Fenster stehen blieb.
Die Ebenen, die sich hinter den flachen, sanften Hügeln erstreckten, waren in die Farben des Sonnenuntergangs getaucht. Gold, Gelb und Rot … der Anblick war beunruhigend, also schloss Louison die Augen.
Doch im Dunkel seines eigenen Geistes verstärkten sich seine Gefühle.
Seit er in die Vergangenheit zurückgekehrt war, hatte er das Gefühl, dass er nur noch mehr dumme Fehler machte und mehr Unrecht beging.
Was kann ich tun? Was habe ich mir dabei gedacht?
Gerade als Louison etwas Selbstvertrauen zurückgewonnen hatte, wurde er erneut von sich selbst enttäuscht. Plötzlich verspürte er den Drang, sich für immer aus Scham zu verstecken.
In seiner Verzweiflung fragte sich Louison ständig: Was soll ich tun, mein Heiliger?
Früher, wenn Louison aus seinen Albträumen erwacht war und aus Angst vor den Toten geschluchzt hatte, hatte der Heilige ihm liebevoll über den Rücken gestrichen.
Der Heilige hatte gesagt gehabt: „Wenn du Angst vor der Dunkelheit hast, dann verkrieche dich nicht unter einer Decke. Öffne deine Augen und zünde das Licht an. Je mehr du deine Angst meidest und deine Augen verschließt, desto mehr wird sie wachsen und dich erdrücken.“
Louison dachte nach... und dachte noch einmal nach.
Das stimmt. Ich kann dem nicht ausweichen.
Der junge Lord öffnete die Augen. Er nahm die schöne Landschaft seiner Heimat in sich auf und erinnerte sich daran, wie sehr er diesen Anblick, in seiner Zeit als Bettler, vermisst hatte. Wie sehr er sich gewünscht hatte, in diese Zeit zurückzukehren.
Der General sah Louison ohne große Erwartung an.
Der junge Louison hatte ein schwaches Temperament gehabt und die Tendenz, bei jedem Hindernis aufzugeben. Besonders hatte er es gehasst, kritisiert zu werden. „Ich bin sicher, er wird weinen und aufgeben“, hatte man allgemein gedacht.
Doch der Louison, der an den Tisch zurückkehrte, wirkte irgendwie anders.
„Wie ich schon sagte, bereue ich es nicht, kapituliert zu haben. Wie Sie sagten, hat der Herzog von Anness die Verantwortung, diese Ländereien zu schützen. Ich habe meine Aufgabe erfüllt.“
„….“
„Und was das Hungerproblem betrifft... Da ich es vergessen habe, ist es meine Schuld. Ich werde es sofort beheben.“ Louisons Augen verrieten seinen festen Willen. Er war entschlossen, keine Kompromisse einzugehen.
Der General war sehr überrascht. In einer weichen Persönlichkeit hatte sich eine hartes Rückgrat gebildet. In Louison, der jetzt seltsam reif aussah, hatte der General Spuren des vorherigen Herzogs gefunden, den er fast sein ganzes Leben lang bewundert hatte.
„Haben Sie einen Plan?“ Der Ton des Generals wurde unfreiwillig höflich.
er hatte es also vergessen das er es war der damals die papiere unterschrieben hatte. kann ich verstehen das er sich verkriechen will doch er holt seinen mut wieder hervor und will das beheben was er angerichtet hatte. wird er es schaffen? freu mich schon wenn es weiter geht.
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